Strukturanalogien zwischen Musik und visuellen Künsten
4 Grundsätzliche Problematiken bei der Betrachtung von Strukturanalogien
Im Anschluss an diese Darstellung von verschiedenen Möglichkeiten struktureller Analogien soll auf einige Problematiken hingewiesen werden, die sich bei der Betrachtung dieses Gegenstandes auftun.
Da nur selten eine eindeutige visuelle oder akustische Evidenz struktureller Analogien gegeben ist und es sowohl in den Musik- als auch Bildwissenschaften an gesicherten bzw. etablierten Methoden fehlt, um solche Beziehungen systematisch feststellen, analysieren und wiederum ins Verhältnis zu jeweils gattungsimmanenten Techniken setzen zu können, sind derartige Untersuchungen zumeist auf Selbstaussagen der Komponisten und bildenden Künstler angewiesen.
So wäre allein aus dem Titel von Franz Liszts Hunnenschlacht (1857) nicht ablesbar, dass sich diese auf Wilhelm von Kaulbachs gleichnamiges Gemälde bezieht. Auch bei Modest Mussorgskys Klavierzyklus Bilder einer Ausstellung (1874) wäre ohne Verweis durch den Komponisten auf den Maler Victor Hartmann, dessen Ausstellung Mussorgsky besucht und zehn Bilder als Ausgangspunkt für seine Komposition gewählt hatte, eine malerische Referenz zwar anzunehmen, aber eine Zuordnung zu genau diesem Maler nicht möglich.
Ein eindeutiges Indiz scheint hingegen die Bezugnahme über den Werktitel der bildenden Künstler und Komponisten zu sein, bei genauerer Betrachtung erweist sich aber auch dies als relativ unsichere Ausgangsbasis. So hieß Schönbergs Farben zwischenzeitlich auch Der wechselnde Akkord. Mit diesem Titel hätte vermutlich niemand eine Beziehung zu malerischen Farben herausgestellt. Und wenn, wäre diese Interpretation als zwar interessant, aber letztlich spekulativ betrachtet worden. Zudem kann der Werktitel in die Irre führen: Alfred Schnittkes Fünf Fragmente I zu Bildern von Hieronymus Bosch nach Texten von Aischylos und Nicolaus Reusner (1994) basieren trotz des Titels nicht auf Bildern, sondern auf Sinnsprüchen, die Schnittke in einem Kommentarband zu Boschs Bilden fand und die Gedanken- und Symbolwelt des Malers wiedergeben. Auch wenn Schnittke Bilder von Bosch kannte, so war die Malerei bei ihm doch nie der Ausgangspunkt für musikalische Inspiration. So ist eine Überlagerung durch weitere nicht-musikalische bzw. nicht-bildkünstlerische und andere gattungsfremde Einflüsse oft nicht bestimmbar.
Darüber hinaus werden Werktitel häufig metaphorisch eingesetzt und können daher zu Fehlinterpretationen führen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Frantiček Kupkas Bild Fuge in zwei Farben (Amorpha) (1912), das Musik- und Kunsthistoriker gleichermaßen zum Ausdeuten der Frage reizte, wo sich denn nun Strukturen einer musikalischen Fuge im Bild wiederfinden lassen. Kupka selbst legte 1923 in einem Brief die damalige willkürliche Zuordnung von Bild und Titel dar: Bis heute bedauere ich die verrückte Idee, das Bild ›Fuge‹ zu nennen – es war damals eine Notlösung, es schien mir – ganz konventionell –, dass ich einen gegenständlichen Titel geben muß. Alles liegt aber nur im Raum-Zeit-Begriff und in der Möglichkeit, solche Raum-Zeit-Assoziationen hervorzurufen.[13]
Hinzu kommt eine Verengung des analytischen Blickwinkels auf die Beziehungen zwischen Musik und bildender Kunst in dem Fall, in dem diesbezügliche Aussagen des Komponisten oder bildenden Künstlers vorliegen. Insofern ist ein Betrachten von Strukturanalogien aufgrund von Werktiteln und Aussagen der Komponisten und bildenden Künstler methodisch nicht unbedenklich und sind die vorgestellten Beispiele unter Vorbehalt zu verstehen.
Werke: Amorpha: Fuge in zwei Farben, Bilder einer Ausstellung , Farben, Fünf Fragmente I zu Bildern von Hieronymus Bosch nach Texten von Aischylos und Nicolaus Reusner, Symphonische Dichtung Nr. 11
Personen: Hieronymus Bosch, Viktor A. Gartman, Wilhelm von Kaulbach, František Kupka, Franz Liszt, Modest P. Musorgskij, Alfred Schnittke, Arnold Schönberg