Strukturanalogien zwischen Musik und visuellen Künsten

2.2 Beziehungen zwischen Einzelelementen: Harmonie und Rhythmus

Maler waren an der Musik jedoch nicht allein wegen der Möglichkeit zur Gestaltung zeitlicher Abläufe, sondern auch wegen ihrer Regelhaftigkeit hinsichtlich der Beziehungen einzelner Elemente interessiert. So hatte Adolf Hölzel schon 1904 als Pendant zur musikalischen Harmonielehre eine malerische gefordert: Ich meine, es müsse, wie es in der Musik einen Kontrapunkt und eine Harmonielehre gibt, auch in der Malerei eine bestimmte Lehre über künstlerische Kontraste jeder Art und deren harmonischen Ausgleich angestrebt werden.[3]

Die mit der Loslösung vom Gegenstand seit Ende des 19. Jahrhunderts begonnene Reflexion und Neudefinition der Eigenwertigkeit der malerischen Mittel führte ab den 1910er Jahren zu verstärkten Bemühungen um eine Systematisierung durch die Aufstellung von Prinzipien der Farb- und Formproportionen in Analogie zur Tonkunst.

So entwickelte Robert Delaunay seine Bildsprache aus farbigen Simultankontrasten, in denen er reine Komplementärfarben nebeneinander setzte, durch deren gleichzeitige Wahrnehmung der Eindruck von Bewegung in der Fläche und im Raum hervorgerufen werden sollte. Dieses Konzept realisierte er in den Serien der sogenannten Fensterbilder (1912) und Kreisformen (ab 1912) und griff es ab 1930 in seinen Rhythmus-Bildern erneut auf. Die Synchromisten Morgan Russell und Stanton MacDonald-Wright setzten ihre auf Farbakkorden beruhenden Farbrhythmen in Gemälden wie Synchromy Nr. 7 (1914/1915) oder Schöpfungs-Synchromie (1914) ein.

Fernand Léger komponierte seine von ihm als Formkontraste benannten Arbeiten der Jahre 1913/1914 aus kubischen und zylindrischen Formen unter Verwendung der Grundfarben.[4] Er verstand den Kontrast in der Malerei in Analogie zur Dissonanz in der Musik als Mittel der Ausdruckskraft. Franz Marc leitete seinen Farbdissonanz-Begriff direkt aus Schönbergs Harmonielehre (1911) ab und kombinierte diesen mit einer Orientierung am Prisma, die z. B. in Sonatine für Geige und Klavier (1913) augenscheinlich wird.

Johannes Itten betrachtete Farbe in Korrespondenz zur Harmonie als vertikale Ordnung und die Entwicklung der zeichnerischen Linie im horizontalen Verlauf entsprechend der Melodie.

Hinsichtlich seiner Überlegungen zur Farbe stützte er sich auf Adolf Hölzels Kontrastlehre und untersuchte darüber hinaus aber vor allem auch die Gleichgewichtswirkungen der Farben, ihre Mengenverhältnisse und Sättigungsgrade, ihre Licht- und Raumwirkungen.

Dies wird deutlich in seiner Komposition aus zwei Farbthemen (1919), in der Itten

aus den Grundformen Dreieck und Kreis ein kompliziert verzahntes Bildgerüst entwickelte, in dem die Spektralfarben in vielfältigen Abstufungen die geometrische Konstruktion durchlaufen und beleben. Form und Farbe, Textur und Tiefe schaffen einen vielschichtigen Bildraum, in dem ein schwebendes Oval den Fixpunkt bildet. Durch das mehrdimensionale Verflechten der Bildmittel, für das Itten den Begriff bandräumlich prägte, wird das Auge in ständiger Bewegung gehalten.

In ihren Äußerungen referierten bildende Künstler zur Erläuterung ihrer Konzepte, aber vor allem auch in ihren Titelgebungen, häufig auf musikalische Formen und Prinzipien des Barock, der Klassik oder auch der Romantik, meist in metaphorischem Sinne, um die hinter ihren Kompositionen stehende Systematik zum Ausdruck zu bringen.

Andere wiederum, wie zum Beispiel Itten, bezogen sich auf zeitgenössische Formen wie die Zwölftontechnik mit ihrer Lossagung von der Funktionsharmonik oder aber auf Ragtime und Cakewalk. Fernand Léger schuf eine Tuschezeichnung Jazz (1930), in welcher der gegeneinander versetzte Rhythmus der Jazzmusik in der diagonal verschobenen Bildstruktur und den harten Schwarz-Weiß-Kontrasten zum Ausdruck kommt. Piet Mondrian setzte in den beiden strukturell ähnlichen Gemälden Broadway Boogie-Woogie (1942/1943) und Victory Boogie-Woogie (1942–1944) die synkopischen Rhythmen des Jazz und zugleich das Erlebnis der rechtwinkligen Straßenzüge von Manhattan mit seinen flackernden Lichtspielen in Farbe und Form um.

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