Klangkunst

5 Raum als zeitlicher Fluss

Auch wo die Bewegung bzw. Interaktion der Rezipienten keine Rolle spielt, kann Raum als zeitlicher Fluss erfahren werden. Robert Morris’ Box with the sound of its own making (1961) hebt den Gegensatz zwischen dem Moment des Bildes und dem Zeitraum des Klangs hervor, indem er die visuelle Permanenz einer Holzkiste mit dem fluiden Klang ihrer handwerklichen Herstellung unterlegt. Bei Music on a long thin wire (1977) zeigt Alvin Lucier mit einer elektrisch verstärkten Saite, die nur durch kaum merkliche Luftströmungen in Resonanz gerät, wie sensibel der Hörapparat minimale, unsichtbare Vorgänge wie etwa Temperaturschwankungen differenzieren kann. Die gespannte Saite, die den visuellen Eindruck von Statik und Leblosigkeit vermittelt, erweist sich als dynamisch, wird als belebt erfahren. Bernhard Leitner bildet räumliche Bauformen (z. B. eine Bogenkonstruktion) akustisch nach, indem er architektonische Merkmale wie Proportion, Spannung und Gewicht durch im Raum bewegte Klänge dynamisch nachformt (Immaterielles Gewölbe, 1974). In einem Medienwechsel macht er deutlich, dass auch die visuelle Erfahrung von Architektur dynamisch erfolgt und dass das Ideal eines statischen Raums eine Vereinfachung darstellt, die die konstitutive Rolle des zwangsläufig zeitlich wahrnehmenden Subjekts vernachlässigt. Hans-Peter Kuhn stellt in The Pier (1996) mit Licht und Klang auf jeweils verschiedene Art und Weise große räumliche Dimensionen dar. Neun hohe Farbtürme entlang eines New Yorker Piers zeigen eine Struktur statisch an, während Töne mit großer Geschwindigkeit, also äußerst dynamisch und damit dem Bildeindruck entgegenstehend, die visuelle Ordnung konterkarieren.

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