Malerei und Musik
4 Die Allgegenwart des Musikalischen in der Malerei
Gauguin, van Gogh, Signac, Cézanne und andere rekurrierten im Zusammenhang mit dem Eigenwert der Farbe und ihrer Ausdruckskraft auf die Nähe der Malerei zur Musik.[9] Die Farbe als solche ist rätselhaft in den Empfindungen, die sie in uns erregt. So muß man sie auch in rätselhafter Weise gebrauchen, wenn man sich ihrer bedient, nicht zum Zeichnen, sondern um der musikalischen Wirkungen willen, die von ihr ausgehen, von ihrer eigenen Natur, von ihrer inneren, mysteriösen, rätselhaften Kraft.[10] Whistler wählte Titel wie Nocturne in Blau und Gold (1872–1875), um die vom Darstellungsgegenstand unabhängige Rolle der Farbgestaltung zu betonen. Im Lauf des 19. Jahrhunderts mehrten sich auch Berichte darüber, dass Maler sich von Musikstücken inspirieren ließen und sich durch Musik auf die Arbeit an Gemälden einstimmten (Arnold Böcklin, Anselm Feuerbach und andere). Bei dieser bis heute gepflegten Praxis ist die visuelle Evidenz des musikalischen Impulses im Gemälde nicht unbedingt gegeben. Dennoch ist sie wichtig für das Verständnis der Werkgenese und der Rolle, die der Musik darin zukommt. Konkretere Bezüge finden sich in der in Frankreich um Henri Fantin-Latour entstehenden Peinture Wagnérienne, die Motive aus Wagner-Opern aufgriff, aber auch mittels Farbe sichtbare Äquivalente für die Qualitäten wagnerscher Musik schaffen wollte.[11] Diese Ansätze gingen mit einer Faszination für die Idee der Verschmelzung der Sinneseindrücke einher, die sich beispielsweise in der symbolistischen Literatur (Baudelaire, Maeterlinck, Rimbaud, Mallarmé) so weit steigerte, dass eine Sinneswahrnehmungen scheinbar nicht mehr an ein Sinnesorgan gebunden war: Die Augen schienen zu hören, die Ohren zu sehen. Diese Vorstellung faszinierte bald auch Künstler, die ihre Gemälde ohne Bindung an ein Sujet, allein mit Farben und Formen, gestalten wollten.