Gesamtkunstwerk

7 Intermedia und die Verfransung der Künste

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gibt die Musik erneut wesentliche Impulse für die weitere Entwicklung künstlerischer Konzepte zum Gesamtkunstwerk. Im Umfeld des amerikanischen Komponisten und Künstlers John Cage (1912–1992) entwickelt sich in den 1950er Jahren Happening und Fluxus. Das Ende der Spezialisierung in einzelne voneinander getrennte Gattungen und die Propagierung einer neuen künstlerischen intermedialen Arbeit führen zur Praxis der Multimedia-Performances, Environments und Happenings, in denen die Idee des Gesamtkunstwerks nicht mehr im genialischen, sondern im kollektiven Sinn weiterlebt. Ihr Ort ist nicht mehr die klassische Theaterbühne oder der Konzertsaal, sondern ein von Künstlern gewählter oder selbstbestimmter Ort oder Raum.

In seinem Aufsatz Die Kunst und die Künste von 1967 diagnostiziert Theodor W. Adorno (1903–1969) das Verfließen der Gattungsgrenzen als eine jüngste […] Entwicklung, die im Gegensatz zum totalen Gesamtkunstwerk aus der Entwicklungslogik der einzelnen Künste selbst heraus motiviert ist und spricht von einer Verfransung […] ihre[r] Demarkationslinien[28]: Je mehr die zusammenhangbildenden Mittel der einzelnen Kunstgattungen über den angestammten Vorrat hinaus sich ausbreiten, gleichsam sich formalisieren, desto mehr werden die Gattungen einem Identischen unterworfen. Adorno polemisiert gegen eine fragwürdige Vergeistigung der Kunst über die sinnliche Erscheinung sowohl bei Kandinsky als auch bei Cage. Im Verfransungsphänomen allgemein sieht er allerdings eine starke Tendenz, welche eine Gattungsgrenze von innen heraus aufbricht. Eine eindeutige Gattungsbezeichnung wäre demnach kaum mehr zu leisten: Je mehr eine Gattung von dem in sich hineinlässt, was ihr immanentes Kontinuum nicht in sich hält, desto mehr partizipiert sie am ihr Fremden […]. Sie wird virtuell […], zu jenem, von dem wir nicht wissen, was es ist.

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