Ton-Bild-Relationen in der interaktiven Kunst
3 Früher Einsatz von Technologie in den Künsten: Intermedia
Das neue Interesse an Zufallselementen und prozessualer Öffnung künstlerischer Arbeiten führte auch zu einer Einbeziehung technischer Apparate, die einerseits Prozesse strukturieren oder vermitteln, andererseits als unausschöpfbarer Lieferant von Klängen – und später Bildern – dienten. Diesmal war es John Cage, der zuerst Radios und Tonbandgeräte in seine Kompositionen einband und damit die bildenden Künstler inspirierte: Mitte der 1950er Jahre begann auch Robert Rauschenberg in seinen so genannten Combine-Paintings mit technischen Komponenten (Beleuchtung, Ventilatoren, Radios) zu experimentieren. Sein Kontakt zu dem Ingenieur Billy Klüver führte schließlich 1966 zu den berühmten 9 Evenings (Theatre and Engineering), einer Reihe von Veranstaltungen, in denen Performer, Musiker und bildende Künstler gemeinsam mit Ingenieuren technisch aufwändige, multimediale Performances konzipierten und realisierten. Rauschenberg selbst inszenierte unter dem Titel Open Score ein Tennismatch, das er zur Steuerung der Beleuchtung und als Orchester[6] einsetzte. Auf den Schlägern waren Mikrofone installiert, die die Vibration der Schlägerbespannung aufnahmen und über UKW-Sender an Lautsprecher übermittelten. Jedes Geräusch aus den Lautsprechern führte wiederum zur Abschaltung eines der Scheinwerfer, die das Spielfeld beleuchteten. Auch andere Künstler der 9 Evenings experimentierten mit Bild-Ton Interaktionen, etwa David Tudor, der in Bandoneon! mittels des gleichnamigen Musikinstruments Lichtquellen, Videobilder und Sound steuerte.
Interaktion beschränkte sich bis dahin entweder auf den Umgang eigens instruierter Performer mit technischen Apparaturen oder die Einbeziehung von Betrachtern vor allem durch eine – akustische oder visuelle – Spiegelung ihrer Anwesenheit. Rauschenberg schuf jedoch in den 1960er Jahren auch installative Arbeiten, die tatsächliche Aktionen der Besucher erforderten, etwa Oracle (1962–1965), ein Skulpturenensemble, das lokale, von den Besuchern regelbare Radiofrequenzen abspielte, oder die raumgreifende Installation Soundings (1968): Sie besteht aus drei großen, hintereinander gestaffelten Plexiglasscheiben, von denen die vordere verspiegelt ist, während auf den anderen beiden Fotos von Stühlen zu sehen sind. Zwischen den Scheiben sind Lichter angebracht, deren Helligkeit je nach durch die Besucher erzeugtem Geräuschpegel und Tonhöhe variiert und somit unterschiedlich deutliche Blicke durch die verspiegelte Scheibe auf die Motive zulässt. Billy Klüver erläutert die Wirkung von Soundings: Bei Soundings befindet man sich in einem halbdunklen Raum allein seinem eigenen Bild gegenüber. Will man das Dunkel bannen, muss man laut mit sich selbst sprechen – eine unangenehme Sache, wenn man sich in der Öffentlichkeit befindet.[7] Die auf aktiver Einbeziehung von Technologie basierenden Arbeiten der 1960er Jahre werden – nach einer Wortschöpfung des Fluxus-Künstlers Dick Higgins – häufig mit dem Begriff Intermedia bezeichnet, da sie die disziplinären Grenzen sowohl innerhalb der Künste als auch zwischen Kunst und Technologie aufbrechen. Interaktionen – sowohl zwischen Menschen als auch mit und innerhalb von technischen Systemen – sind zentraler Bestandteil dieser Arbeiten.