Sonifikation

von Florian Grond, Theresa Schubert-Minski

1 Historische Vorläufer: Harmonie und Kosmos bei Pythagoras und Kepler

2 Der Klang im frühen wissenschaftlichen Experiment: Galileo Galilei

3 Schalldiagnostische Verfahren

4 Klingende Nerven: Informationsübertragung in der neurologischen Forschung

5 Zeitgenössische Forschung und Anwendung in der wissenschaftlichen Sonifikation

6 Techniken und Verfahren der Sonifikation

7 Sonifizierende Verfahren in der Musik

8 Sonifikation in der Medienkunst

9 Aktueller Forschungsstand

10 Nachklang



Abstract

Sonifikation bezeichnet seit etwa 20 Jahren eine zunächst naturwissenschaftliche Methode der Verwendung von nicht-sprachlichem Klang, um Informationen zu übertragen.[1] Ausgangspunkt dafür ist die Tatsache, dass der Hörsinn in vielen Fällen ein hohes Potenzial besitzt, zum Sehsinn komplementäre Informationen auf einfache Weise zu vermitteln.[2] Als alternatives und ergänzendes Verfahren zur Visualisierung erleichtert Sonifikation oft das Erfassen von zeitbasierten Gesetzmäßigkeiten und Strukturen. Die Anwendungsgebiete der Sonifikation erstrecken sich heute auf viele Bereiche, wie unter anderem Prozessüberwachung, Data Mining und explorative Datenanalyse sowie Interface-Design. Vor diesem Hintergrund findet sie als ästhetisches Konzept und Methode auch zunehmend künstlerische Anwendung. Obwohl die aktuelle Relevanz der Sonifikation erst mit der vielgestaltigen Darstellbarkeit von Informationen im Zuge der Digitalisierung entstehen konnte, wurden bereits seit Jahrhunderten akustische Mittel zur Erklärung diverser Sachverhalte genutzt.

[1] Übers. der Autoren. Gregory Kramer, u. a., Sonification Report: Status of the Field and Research Agenda, Palo Alto 1997, online unter: http://www.icad.org/websiteV2.0/References/nsf.html.

[2] Vgl. Thomas Hermann, »Daten hören«, in: Holger Schulze (Hg.), Sound Studies, Bielefeld 2008, S. 209–228.

 

1 Historische Vorläufer: Harmonie und Kosmos bei Pythagoras und Kepler

Ich möchte hierüber auch das Ohr befragen, jedoch so, daß der Verstand aussprechen soll, was natürlicherweise das Ohr zu sagen haben würde. (Johannes Kepler)[1]

Das erste überlieferte Beispiel, in dem Klang mit mathematisch formulierter Erkenntnis und daraus resultierender Welterklärung in Zusammenhang gebracht wird, findet man in der Antike bei Pythagoras von Samos und dem einsaitigen Monochord. Durch die unterschiedliche Positionierung des Stegs kann mit diesem Instrument auf einfache Weise der Zusammenhang zwischen Saitenlänge und Tonhöhe bzw. Frequenzverhältnis demonstriert werden, denn bei Halbierung der Saite erhöht sich der erklingende Ton um eine Oktave, seine Frequenz verdoppelt sich. Pythagoras stellte anhand seiner Beobachtungen fest, dass Proportionen und Intervalle oder Zahlen und Töne untrennbar miteinander zusammenhängen.[2] Einfache Zahlenverhältnisse haben also eine musikalische Harmonie zur Folge, was für ihn den Beweis darstellt, dass auch Naturgesetzen eine gewisse Harmonie zugrunde liegt, die hörend erfahrbar ist. Pythagoras liefert damit eines der wenigen frühen Beispiele westlicher Denktradition, in dem ein klangliches Bezugssystem die Erklärungshoheit besitzt. Dies ist deswegen bemerkenswert, da philosophische Einsicht – das Wort alleine suggeriert es – öfter auf den Sehsinn bezogen wird, man denke nur an Platos Höhlengleichnis.

Die harmonischen Zahlenverhältnisse des Pythagoras finden sich auch in verschiedenen anderen frühen naturwissenschaftlichen Forschungen wieder. In seinem Buch Harmonices Mundi ordnet der Mathematiker und Astronom Johannes Kepler den Planeten Tonreihen bzw. Intervalle zu, die er aus den Verhältnissen von Sonnenabstand, Umlaufbahn, Geschwindigkeit und Zeit errechnet, und gelangt zu einer auf Zahlen basierten Sphärenmusik. Seine Entdeckung, dass die Geschwindigkeiten der Planeten, wenn man sie an den beiden [am weitesten voneinander entfernten] Punkten ihrer elliptischen Bahn mißt […] Intervallproportionen bilden[3], lässt sich im Notenbild nachvollziehen.

Während Pythagoras von der auf dem Experiment basierenden Klangerfahrung ausgeht und die Welt daraus erklärt, imaginiert Kepler den Klang ausgehend vom Modell der Planetenbewegung. Keplers akustische Gesetze dienten wohl auch dazu, zu beweisen, dass den Harmonien des Kosmos eine höhere (göttliche) Intention zugrunde liegt.

2 Der Klang im frühen wissenschaftlichen Experiment: Galileo Galilei

Galileo Galilei lieferte das erste und oft zitierte Beispiel einer Versuchsanordnung, das dem heutigen Sonifikationsbegriff sehr nahe kommt. Es handelt sich hierbei um das Experiment der schiefen Ebene, das zur Demonstration des Gesetzes vom freien Fall herangezogen wurde. Um die Beschleunigung einer rollenden Kugel zu bestimmen, positionierte er entlang der Ebene Glöckchen[4], die beim Anschlag der Kugel eine Zeitnahme ermöglichten.[5] Bemerkenswert ist hierbei, dass die akustische Anzeige unmittelbar beim Messen zum Einsatz kam und dadurch Empirie mit Theorie verknüpfte. Die Integration von Klang im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess zur Zeit Galileis ist auch im Zusammenhang mit den septem artes liberales und ihren vier gemeinsam gelehrten Disziplinen Astronomie, Musik, Arithmetik und Geometrie[6] zu sehen.

3 Schalldiagnostische Verfahren

Im Bereich der Medizin wurden die Fähigkeiten des Gehörs zum ersten Mal systematisch herangezogen, als Joseph Leopold von Auenbrugger 1761 die Perkussion als diagnostische Methode entwickelte. Hierbei klopft der Arzt mit seinen Fingern auf die Hautoberfläche und schließt aus der Eigenresonanz des Körperteils auf die Beschaffenheit der darunterliegenden Organe. 1819 entwickelte der französische Arzt René Laënnec das Untersuchungsverfahren der Auskultation, wobei er zunächst ein zusammengerolltes Blatt Papier, später hölzerne Instrumente verwendete, die er selbst als Stethoskop bezeichnete.[7] Joseph Skoda setzte Laënnecs Arbeit an einer Differenzierung der unterschiedlichen Geräuschqualitäten fort und entwickelte ein grundlegendes und bis heute gültiges System der Schallphänomene.[8] Bei beiden schalldiagnostischen Verfahren geht es um eine ganz konkrete vielschichtige Hörerfahrung, deren Interpretation erst erlernt werden muss.

4 Klingende Nerven: Informationsübertragung in der neurologischen Forschung

Die Darstellungsmöglichkeiten der Wissenschaft standen und stehen wie in der Kunst unter dem permanenten Einfluss technologischer Entwicklungen. Eine für die Sonifikation wichtige Rolle spielt die Erfindung des Telefons und des Phonographen, mit denen die erste Ära der Sonifikation[9] beginnt, da nun die Aufzeichnung und Vervielfältigung sowie die ortsungebundene Wiedergabe von Klängen möglich ist. Wenige Jahre nach der Anmeldung des Telefon-Patents 1876 durch Alexander Graham Bell finden sich erste Publikationen über Anwendungen, in denen das Telefon bzw. sein Lautsprecher zur akustischen Anzeige physiologischer Phänomene eingesetzt werden.[10] In einem medizinischen Experiment von Nikolai Wedenskii wurden die Signale von offen präparierten Nerven akustisch verstärkt. Bemerkenswert an der Arbeit Wedenskiis ist die präzise Beschreibung der wahrgenommenen Klänge, da diese als Grundlage für die wissenschaftliche Diskussion der Eigenschaften von Nervenzellen herangezogen wird.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte der Neurologe und Psychologe Hans Berger in seinem Bemühen, die Beziehung zwischen Körper und Seele auf objektive Art mithilfe der Technik nachzuweisen, Experimente an der Hirnrinde durch. Von Hunden und Katzen ging er 1924 zum Menschen über. Es gelang ihm, eine elektrische Aktivität der Großhirnrinde zu registrieren, womit er gleichzeitig das Elektroenzephalogramm (EEG) einführte. Seine Arbeiten blieben zunächst unbeachtet. Erst der Neurophysiologe Edgar Douglas Adrian[11], würdigte seine Leistung und benannte den Ruhezustand des Gehirns nach ihm: den Bergerrhythmus, der als dichtes rauschhaltiges Gemurmel hörbar gemacht werden kann. In The Berger Rhythm[12] entwickelte Adrian erstmals eine akustische Repräsentation des EEGs, in der Elektroden und Verstärker bislang unhörbare Prozesse erfahrbar machten. Aus historischer Perspektive ist hier eine durch Technologie erweiterte Form der Auskultation erkennbar.

5 Zeitgenössische Forschung und Anwendung in der wissenschaftlichen Sonifikation

Die Entwicklung der Computertechnologie führte seit den 1950er Jahren zu einer grundlegenden Veränderung im Umgang mit vorhandenem Datenmaterial. Mit steigender Leistungsfähigkeit wurde das Verarbeiten von immer umfangreicheren Datensätzen möglich. Der Einsatz zeitdiskreter Signalverarbeitung[13] war Grundlage für die Entstehung der Sonifikationsforschung, da sie – zumindest theoretisch – die Umsetzung jeglicher Daten in hörbare Informationen möglich machte. So entstanden die ersten Anwendungen mit Einbindung von Auditory Displays, akustischen Anzeigen, die zum Ziel hatten, die Kommunikation an der Mensch-Maschine-Schnittstelle zu unterstützen. Schon 1958 bei einem der ersten volltransistorisierten Rechenautomaten, dem Mailüfterl[14] von Heinz Zemanek, kommt eine frühe Form eines Auditory Displays zum Einsatz. Um die damals noch beträchtlichen Rechenzeiten aus der Ferne überwachen zu können, wurde das Mailüfterl mit dem Telefon verbunden und so konnte man von zu Hause aus dem Algorithmus bei der Arbeit zuhören.[15] Dabei signalisierte ein Dauerton, dass der Computer abgestürzt war. Bei unterschiedlichen Tonfolgen konnten die Mitarbeiter unterscheiden, an welcher Stelle im Programm sich der Rechner gerade befand. Ebenfalls in den 1950er Jahren finden sich noch rein analoge Versuche zur akustischen Darstellung und Erforschung von Erdbeben. Zu dieser Zeit war es üblich, die registrierten Daten auf Magnetbändern zu speichern, die wie eine Audiokassette schneller abgespielt werden konnten. Dadurch wurden die Schwingungen eines Erdbebens in den hörbaren Bereich verschoben.[16]

Heute verbindet sich der Begriff Auditory Seismology mit den Forschungsprojekten des Geophysikers Florian Dombois, der die Sonifikation von Erdbeben sowohl für die Wissenschaft als auch in künstlerischen Installationen vorangetrieben hat. Viele aus der Seismologie bekannte Phänomene können, wie Dombois zeigt, akustisch leicht dargestellt und identifiziert werden.[17] Seine Arbeit Circum Pacific 5.1 ist ein Beispiel für die räumliche Umsetzung von sonifizierten Erdbebenmesswerten, in der geografisch weit voneinander entfernte Aktivitäten simultan wahrgenommen werden können. Das Projekt zeigt darüber hinaus die erfolgreiche Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und künstlerischem Konzept.

In der Neurologie hat sich die Sonifikation von EEGs in den letzten Jahren zu einem äußerst aktiven wissenschaftlichen Forschungsfeld etabliert.[18] Dies liegt vor allem an der komplizierten Struktur eines EEGs, welches typischerweise aus mehreren Datenströmen besteht. Da dessen Analyse nur teilweise automatisiert werden kann, ist ein hohes Maß an Expertise Voraussetzung für die Interpretation. Sonifikation hat hier das Potenzial, simultane komplexe rhythmische Strukturen wahrnehmbar zu machen. Besonders die aktuellen Forschungen zur EEG-Vokalsonifikation zeigen vielversprechende Ansätze, da dezidiert an der Entwicklung eines kanonischen Verfahrens gearbeitet wurde. Eine der Zielstellungen war es, Softwarekomponenten für EEG-Gerätehersteller zu entwickeln, die die Signalauswertung und vor allem die Echtzeit-Diagnose von EEGs bei klinischer Patientenüberwachung ermöglichen sollen.[19]

6 Techniken und Verfahren der Sonifikation

Mittlerweile haben sich verschiedene Methoden der Sonifikation herausgebildet, von denen Audifikation, Parameter-Mapping sowie modellbasierte Sonifikation am häufigsten zum Einsatz kommen.

Audifikation ist die direkteste Form der Umsetzung. Hier werden die Messwerte von Daten direkt nach einer Digital-Analog-Wandlung über einen Lautsprecher hörbar gemacht. Die Möglichkeiten der Manipulation erstrecken sich vor allem auf die Abspielgeschwindigkeit.

Die Parameter-Mapping-Sonifikation ordnet verschiedenen Messwerten kontrollierbare Klangeigenschaften wie Lautstärke, Tonhöhe, räumliche Positionierung oder Filtereigenschaften zu. Die Daten werden wie bei der Audifikation sequenziell abgespielt.

Große klangliche Komplexität bei gleichzeitig überschaubaren, frei zu wählenden Parametern erlaubt die von Thomas Hermann am Institut für Neuroinformatik in Bielefeld entwickelte Methode der modellbasierten Sonifikation (MBS). Hierbei werden hochdimensionale Datenpunktwolken zu virtuellen Objekten, die nach geeigneter Stimulation zum Klingen gebracht werden können. Strukturell findet sich hier eine Ähnlichkeit zur medizinischen Perkussion. Die auditive Darstellung ist hierbei nicht sequenziell entlang vorgegebener Dimensionen, sondern gibt vielmehr Aufschluss über den Gesamtzustand eines komplexen Datensatzes. Interaktive Sonifikation ist eine neue Entwicklung, die vor allem in Zusammenhang mit MBS steht. Das zugrundeliegende Konzept trägt der Tatsache Rechnung, dass man mit unterschiedlicher Erregung realer oder virtueller Klangobjekte verschiedene akustische Antworten und dadurch einen differenzierteren Eindruck erhält. Aus dem Alltag kennen wir das Klopfen auf eine Melone, um ihre Qualität zu beurteilen. Für digital virtuelle Objekte sollen Tangible Desks hierbei den haptischen Zugang zu interaktiven Sonifikationen intuitiv ermöglichen.

7 Sonifizierende Verfahren in der Musik

In der Mitte des 20. Jahrhunderts entstehen mehrere künstlerische Arbeiten, die rückwirkend dem Bereich der Sonifikation zugeordnet werden können, da sie Techniken wie Audifikation oder Parameter-Mapping auf analoge Weise anwenden.

Ein bekanntes Beispiel für ein musikalisches Werk ist die Arbeit Atlas Eclipticalis (1961) von John Cage. Wieder spielt der Bezug zum uns umgebenden Kosmos eine wichtige Rolle, denn Cage überträgt Sternenkarten auf Notenpapiere und entwickelt daraus bestimmte Spielanweisungen. Abgesehen von den Freiheitsgraden der Interpretation verwendet die Arbeit die inhärente Struktur des Sternenhimmels als kompositorische Grundlage. Dieser Bezug auf natürliche Gegebenheiten zeigt konzeptionell eine Nähe zu Datensätzen, die bei einer Sonifikation in synthetisierte Klanggestalten[20] übersetzt werden.

Eine wichtige Arbeit zur künstlerischen Aneignung des Elektroenzephalografen stammt vom Komponisten Alvin Lucier. In seinem Stück Music for Solo Performer von 1965 verstärkt Lucier seine durch ein EEG abgeleiteten Gehirnwellen und setzt sie in akustische Signale um. Dabei gelingt es ihm, die angeschlossenen Lautsprecher so stark in Schwingung zu versetzen, dass auf ihnen verschiedene Perkussionsinstrumente zu klingen beginnen und somit indirekt den Grad der Gehirnaktivität wiedergeben.

8 Sonifikation in der Medienkunst

Im Zuge der Digitalisierung haben sich auch die Materialien und Methoden in den Künsten geändert und zu einem verstärkten Interesse an wissenschaftlichen Inhalten und am Umgang mit Daten geführt. Dadurch wurden die ästhetischen und konzeptionellen Möglichkeiten der Sonifikation konsequent erweitert.

Eine zeitgenössische Arbeit, die Sonifikation verwendet, um Klang durch das Videobild zu steuern, ist die multimediale Installation Brilliant Noise von Semiconductor.[21] Der Sound ist hierbei eine Umsetzung der Radiowellen, die von der Sonne emittiert werden; zusätzlich wird dieser durch bestimmte Parameter aus vorhandenem Videorohmaterial von Satelliten beeinflusst. Eine weitere aktuelle Arbeit, die sich mit der Hörbarmachung unserer Umwelt auseinandersetzt, ist der G-Player bzw. in seiner portablen Version der G-Pod von Jens Brand. Auf einem spezialangefertigten Hi-Fi-Gerät bzw. einem modifizierten iPod werden Satellitenmessdaten der Erdoberfläche gespielt, wobei man unter verschiedenen Satelliten wählen kann, die dann die Topografie der gewünschten Regionen wiedergeben.[22] Als technische Metapher zieht Brand die Funktion einer Schallplatte heran, wobei die Topografie der Erde vom G-Player wie eine Tonrille abgespielt wird. Interessanterweise verwendet der Künstler Nicolas Reeves eine ähnliche technische Metapher in der Beschreibung seiner Cloudharp als überdimensionalen CD-Spieler, der mit einem Infrarot-Laser den Himmel abtastet. Hier werden die Messungen verschiedener Faktoren wie Oberflächenstruktur und Dichtheit der Bewölkung durch Parameter-Mappping in Echtzeit in ein polyfones Stück übersetzt. In Anlehnung an die Harmonices Mundi bezeichnet Reeves sein meteo-elektronisches Instrument deshalb auch als keplersche Harfe.[23]

Das Wettergeschehen ist seit jeher ein Bezugspunkt für das Abbild der Natur in der Musik.[24] Auch die Projekte der Medienkünstlerin Andrea Polli setzen sich mit meteorologischen und klimatischen Phänomenen auseinander. In ihrer Arbeit Atmospherics/Weatherworks werden Sonifikationen basierend auf Simulationen von historischen Stürmen erstellt. Obwohl diese virtuellen Ursprungs sind, erinnert die Umsetzung stark an Aufnahmen von Windgeräuschen. Teil der künstlerischen Motivation ist es, räumlich weit ausgedehnte Wetterphänomene im kleinen Maßstab erfahrbar zu machen.

9 Aktueller Forschungsstand

Der aktuelle Forschungstand im Bereich der Sonifikation ist eng mit der International Conference for Auditory Display (ICAD)[25] verbunden. 1992 organisierten die im weiteren Umfeld des Auditory Display involvierten Wissenschaftler erstmals die ICAD, die wie der nachfolgende Aufbau der Sonifikationsgemeinschaft vor allem dem Wissenschaftler Gregory Kramer zu verdanken ist. Es ist ein globales und interdisziplinäres Forum für den Erfahrungsaustausch von Forschern aus Disziplinen wie Medizin, Physik, Mathematik, Soziologie und Psychologie sowie von Designern und Künstlern. Im Rahmen dieser Konferenzen hat sich die Definition der Begriffe rund um Sonifikation weiter geschärft.

Behandelte die ICAD ursprünglich Sonifikation und Auditory Display als rein naturwissenschaftliches Verfahren, so ist spätestens seit der ICAD 2004 und dem Konzert Listening to the Mind Listening eine Einbeziehung von künstlerischen interdisziplinären Ansätzen festzustellen. Dort wurden im Rahmen eines Wettbewerbs zehn Sonifikationen[26] ausgewählt, deren Grundlage die beim Hören eines Musikstücks aufgezeichneten EEG-Messdaten einer Person bildeten. Auch zur ICAD 2006[27] gab es einen öffentlichen Wettbewerb basierend auf globalen soziologischen Datensätzen sowie ebenfalls zur ICAD 2009, bei der Sonifikationen basierend auf der DNA-Sequenz von Backhefe angefertigt wurden.[28] Dabei wurden wissenschaftliche und künstlerische Sonifikation voneinander getrennt beurteilt. Denn auch, wenn eine wissenschaftliche Sonifikation wie ein musikalisches Werk klingen kann, ist es vielen Forschern wichtig, zwischen naturwissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und künstlerischem Konzept zu unterscheiden. So ist aus wissenschaftlicher Perspektive auch die Entwicklung von Standards in der Realisierung und der Beschreibung von Sonifikationen[29] ein wichtiges Ziel, um den allgemeinen Nutzen für ein breiteres Publikum zu vergrößern und um sinnvoll zu einer Kanonisierung der Methode beizutragen.

10 Nachklang

Wenn wir Sonifikation als Methode zur Erfassung von Gesetzmäßigkeiten und Strukturen rekapitulieren, so wurde am Anfang Klang oder Musik vor allem mit mathematischen Relationen und metaphysischen Konzepten in Zusammenhang gebracht. Dies wohl auch deshalb, weil der zunächst instrumentale Klang als Medium der Darstellung nur Abstraktes zuließ. Mit der technologischen Entwicklung der Musikaufzeichnung und -wiedergabe sowie den Möglichkeiten der digitalen Klangverarbeitung und -synthese hat sich auch unser Musikverständnis verändert. Heute finden wir, dass das Datensubstrat der Sonifikation zusehends unserer digitalen Alltagswelt entstammt, aber keine ihm eigene Materialität hat. Daten aus dem Weltall, durch Satelliten übertragen, zum Klingen zu bringen, wird zu einem kreativen Akt und wir müssen es heute, im Gegensatz zu Kepler nicht bei der Vorstellung einer Sphärenmusik belassen. Ob das Resultat überzeugt, hängt zu gleichen Teilen von der methodischen Transparenz des Wissenschaftlichen genauso wie dem gekonnten Sounddesign sowie dem Bewusstsein für die natürlichen und kulturellen Determinanten der Hörerfahrung ab, letzteres eine genuine Kompetenz der Musikkomposition.

Alle Fußnoten

[1] Johannes Kepler, Weltharmonik, Max Caspar (Hg.), Nachdruck, München 1967, S. 134.

[2] Rudolf Haase, Keplers Weltharmonik heute, Ahlerstedt 1989, S. 14.

[3] Haase, Keplers Weltharmonik heute, 1989, S. 16.

[4] In anderen Darstellungen sind es auch Saiten.

[5] Vgl. Stillman Drake, Galileo, Oxford, 1980.

[6] Die septem artes liberales sind ein in der Spätantike entstandener Kanon aus sieben Studiendisziplinen, die aus dem Trivium von rhetorischen Fächern (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und dem weiterführenden Quadrivium von auf Zahlen basierenden Fächern (Astronomie, Musik, Arithmetik und Geometrie) bestanden.

[7] Von lat. auscultare – eifrig zuhören, horchen.

[8] Vgl. Joseph Skoda, Abhandlung über Perkussion und Auskultation, Wien 1839.

[9] Florian Dombois, »Sonifikation«, in: Petra Maria Meyer (Hg.), acoustic turn, München 2008, S. 96.

[10] Vgl. J. Tarchanov »Das Telephon im Gebiete der thierischen Elektrizität«, in: St. Petersburger medicinische Wochenschrift, 4, St. Petersburg 1879, S. 93–95. Ein weiterer Beitrag aus dieser Zeit ist: N. Wedenskii »Die telephonischen Wirkungen des erregten Nerven«, in: Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften, 26, 1883, S. 465–468.

[11] Edgar Douglas Adrian erhielt 1932 gemeinsam mit Sir Charles Scott Sherrington den Nobelpreis in Physiologie/ Medizin for their discoveries regarding the functions of neurons, vgl. http://nobelprize.org.

[12] Edgar Douglas Adrian, Brian Harold Cabot Matthews, »The Berger Rhythm: Potential Changes from the Occipital Lobes in Men«, in: Brain, 4, 57, Dezember 1934, S. 355–385.

[13] Vgl. Axel Volmar, »Die Anrufung des Wissens«, in: Tristan Thielmann, Jens Schröter (Hg.), Display II. Digital, Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften 7, 2, 2007, S. 107.

[14] Aufgrund der langsamen Transistoren Mailüfterl benannt, im Gegensatz zu dem zur damaligen Zeit bekannten MIT-Computer Wirbelwind. Siehe: Heinz Zemanek, »Als das ›Mailüfterl‹ zu wehen begann…«, in: Die Presse, 24. Mai 1978, S. 20.

[15] Aus einem Gespräch der Autorin mit Prof. Heinz Zemanek vom 3. Juli 2009. Siehe auch: http://www.heise.de/newsticker/Mailuefterl-Konstrukteur-Zemanek-in-Wien-geehrt--/meldung/56956 (25.06.2009).

[16] An dieser Stelle zeigt sich wieder der starke Einfluss der Technologie der Tonaufzeichnung auf die Entwicklung der Sonifikation. Interessanterweise spielten etwa zur selben Zeit Magnetbänder bei der Entwicklung der Musique Concrète eine wichtige Rolle.

[17] Siehe online unter: http://www.auditory-seismology.org (25.06.2009).

[18] Die folgenden Arbeiten geben einen Überblick: Thomas Hermann, Gerold Baier, Ulrich Stephani, Helge Ritter, »Kernel Regression Mapping for Vocal EEG Sonification«, in: Proceedings ICAD June 24–27 2008, Paris 2008, online unter: http://www.icad.org/node/2353; Alberto de Campo, Robert Höldrich, Gerhard Eckel, »New Sonification Tools for EEG Data Screening and Monitoring«, in: Proceedings ICAD June 26–29 2007, Montreal 2007, online unter: http://www.icad.org/node/2399; Zusammenfassungen der Projekte Denkgeräusche 1 und 2 findet man unter: http://www.sonifyer.org/portrait/projekte/ (25.06.2009).

[19] Vgl. http://www.icad.org/node/2483 (25.06.2009).

[20] Volmar, Die Anrufung des Wissens, S. 107.

[21] Siehe online unter: http://www.semiconductorfilms.com/root/Brilliant_Noise/BNoise.htm (25.06.2009).

[22] Siehe online unter: http://www.g-turns.com (25.06.2009).

[23] Siehe online unter: http://www.fondation-langlois.org/html/e/page.php?NumPage=101 (06.07.2009).

[24] Für Sonifikation im künstlerischen Zusammenhang spielt die Tradition der Programmmusik eine wichtige Rolle, in der sich Musik über harmonische Strukturen als alleiniges Referenzsystem hinweg und in Bezug zu Eindrücken aus der uns umgebenden Umwelt setzt. Bekannte Beispiele wären Die Vier Jahreszeiten von Vivaldi oder Smetanas Die Moldau. Dieser historische Bezug auf die Natur erweitert sich im zeitgenössischen Sonifikationsumfeld auf Datenquellen aus virtuellen Umgebungen.

[25] Siehe online unter: http://www.icad.org (25.06.2009).

[26] Siehe online unter: http://www.sonifyer.org/wissen/sonifikationmusik/?id=45 (25.06.2009).

[27] ICAD 20.–23. Juni 2006, London: http://www.dcs.qmul.ac.uk/research/imc/icad2006/concertcall.php (25.06.2009).

[28] ICAD 18.–22. Mai 2009, Kopenhagen: http://www.re-new.dk/index.php?pid=19 (25.06.2009).

[29] Hier gilt es besonders folgende Arbeiten hervorzuheben: Alberto de Campo, »Toward a data sonification design space map«, in: Proceedings ICAD, Montral 2007, S. 342–347, http://www.icad.org/node/2398; Thomas Hermann, »Taxonomy and definitions for sonification and auditory display«, in: Proceedings ICAD, 2008, http://www.icad.org/node/2352; Stephen Barrass, »Sonification design patterns«, in: Proceedings ICAD July 6–9 2003, Boston 2003, http://www.icad.org/node/2658 (25.06.2009).

Literaturliste

Abhandlung über Perkussion und Auskultation
1839, Author: Škoda, Joseph Publisher: Mösle’s Witwe und Braumüller

Als das »Mailüfterl« zu wehen begann…
24. Mai 1978, Author: Zemanek, Heinz

Das Telephon im Gebiete der thierischen Elektrizität
1879, Author: Tarchanov, J.

Die Anrufung des Wissens: Eine Medienepistemologie auditorischer Displays und auditiver Wissensproduktion
2007, Author: Volmar, Axel Publisher: Schüren

Die telephonischen Wirkungen des erregten Nerven
1883, Author: Wedenskii, N.

Galileo
1980, Author: Drake, Stillman Publisher: Oxford Univ. Press

Keplers Weltharmonik heute
1989, Author: Haase, Rudolf Publisher: Param

Nachkommenschaften
1978, Author: Stifter, Adalbert Publisher: Insel-Verl.

New Sonification Tools for EEG Data Screening and Monitoring
2007, Author: de Campo, A. and Hoeldrich, R. and Eckel, G. Publisher: Schulich School of Music, McGill University

Sonification design patterns
2003, Author: Barrass, S. Publisher: Boston University Publications Production Department

Sonifikation: Ein Plädoyer, dem naturwissenschaftlichen Verfahren eine kulturhistorische Einschätzung zukommen zu lassen
2008, Author: Dombois, Florian Publisher: Fink

Taxonomy and Definitions for Sonification and Auditory Display
2008, Author: Hermann, Thomas

Toward a data sonification design space map
2007, Author: de Campo, Alberto Publisher: Schulich School of Music, McGill University

Weltharmonik (Harmonice mundi, dt.): Übers. u. eingel. v. Max Caspar
1967, Author: Kepler, Johannes Publisher: Oldenbourg

www.nobelprize.org


siehe auch

Personen
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    Alle Schlagwörter
  • Polyphonie (Kapitel 8)
  • Proportionstheorie (Kapitel 1)
  • Pythagoreismus / Universelle Harmonie (Kapitel 1, 10)
  • Rhythmisierung (Kapitel 5)
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  • Universalismus (Kapitel 1, 8)
  • digitale Signalverarbeitung (Kapitel 5, 8)


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