Für Künstler und Künstlerinnen, die ihre Arbeit in einem soziopolitischen Zusammenhang sehen, bedeuteten der Wandel der Informationsumwelt und die gesellschaftlichen Umbrüche ab Ende der 1960er-Jahre eine große Herausforderung. Die zunehmende Bedeutung der audiovisuellen Medien und deren ästhetisches Vokabular waren dabei Ausgangspunkt für zahlreiche künstlerische Untersuchungen, die heute als Medienkunst tituliert werden. Die einen versuchten, mit den neuen Medien ebenso neuartige Werke zu schaffen oder die Medien künstlerisch zu beseelen, andere bezogen sich auf die Technik der neuen Produktionsmittel, um in den Machtinstrumenten direkt zu intervenieren. Nam June Paik entwickelte 1969 mit Shuya Abé beispielsweise einen Videosynthesizer als Pendant zu einem Musiksynthesizer und produzierte damit Livesendungen für das Fernsehen. Er träumte davon, die TV-Bildschirm-Leinwand so präzise wie Leonardo, so frei wie Picasso, so farbenfroh wie Renoir, so profund wie Mondrian, so gewalttätig wie Pollock und so lyrisch wie Jasper Johns zu gestalten.[1] Auch für andere Künstler wurden die neuen elektronischen Medien zum inspirierenden Material. John Cage hatte schon in den 1930erJahren mit Radios, Verstärkern und Plattenspielern experimentiert. Auf Einladung von Billy Klüver von den Bell Telephone Laboratories, der gemeinsam mit Robert Rauschenberg und Robert Whitman Experiments in Art and Technology gegründet hatte, nahm er 1966 mit neun anderen Künstlern und Künstlerinnen (darunter Lucinda Childs, David Tudor, Yvonne Rainer) an den 9 Evenings of Theatre Engineering im New Yorker Zeughaus in der Armory Street teil. Es war eine Großkooperation zwischen Künstlern, Wissenschaftlern und Ingenieuren. Billy Klüver versprach sich von diesem Projekt eine Veränderung der sozialen Ordnung. Engineers have been the employees of the economic life, but related to the artists they become a revolutionary factor.[2] Die damalige Resonanz der Presse auf diese Veranstaltung zeichnete aber ein anderes Bild: Die Vorführungen, die weder dem techno-utopischen noch dem Unterhaltungsanspruch des Publikums genügten, wurden großteils als enervierend, enttäuschend und langweilig beschrieben. Gerade die intensive Zusammenarbeit von Künstlern und Wissenschaftlern schien zu einer Aufhebung sowohl der künstlerischen Inhalte wie auch der technischen Ansprüche zu führen. Laut dem Künstler und Kunstkritiker Brian O’Doherty wurden Schlüsselkriterien avancierter künstlerischer Produktion wie Einbeziehung des Zufalls, Infragestellung von Autorschaft, Interaktion mit dem Publikum durch die Konfrontation mit der technokratischen Welt zu altmodischen Faktoren. O’Doherty konstatierte, dass die Anti-Konventionen, wie sie durch Fluxus und Happenings in den späten 1950er-Jahren provokativ postuliert wurden, plötzlich wie neue Konventionen wirkten. Aus heutiger Perspektive sind die 9 Evenings ein aufsehenerregender Versuch, avancierte Technologien und künstlerische Experimente in Beziehung zu setzen. Gerade weil mit der engen und affirmativen Zusammenarbeit von Handwerkern, Forschern, Technikern und Künstlern historisch immer wieder revolutionäre Utopien verbunden wurden, spiegelt der Diskurs um die 9 Evenings of Theatre & Engineering aber auch einige zentrale Fragen von Medienkunst. Ein ganz anderes Verhältnis zu Forschung und Technik vertritt die Audio- und Soundaktivistengruppe Ultra-red. Unter Berufung auf den Befreiungspädagogen Paulo Freire beabsichtigt sie, mit ihren Soundarbeiten Gegendiskurse zum herrschenden Wissenschaftsbegriff zu schaffen, der auf ideologische Weise mit dem kapitalistischen System verbunden ist. Der akustische Raum wird hier vornehmlich als Austragungsort von sozialen Verhältnisse verstanden. Eine weitere technische Gegenwelt hat Herwig Weiser mit seinem zgodlocator (1998–2002) eröffnet. Für diese speziellen Soundmaschinen wurden Computer in ihre Bestandteile zerlegt und fein zermahlen. Dieses kreative Basismaterial wurde anschließend in durchsichtige Laborzellen gefüllt, in denen es mittels Lautsprechermagneten zu immer neuen Hügeln und Kratern geformt wird. Die fluktuierenden Muster werden ihrerseits wieder in elektronisch generierte Klangmuster rückübersetzt, um als düstere Bild- und Tonformationen das monströse Innenleben, das hinter der Glanzoberfläche der Hightech-Geräte lauert, zu vermitteln.
John Cage, Variations VII, 1966
Lucinda Childs, Vehicle, 1966
Peter Weibel, Action Lecture – Communication Breakdown, 1968
Nam June Paik & Jud Yalkut, Video Commune: Beatles from Beginning to End – An Experiment for Television, 1970
John Baldessari, Drawing to Sound Effects Series: Drawings by Ed Henderson To Various Sound Effects, 1974
VALIE EXPORT, Raumsehen und Raumhören, 1974
Steina Vasulka, Violin Power, 1978
Gary Hill, Soundings, 1979
Carsten Nicolai, Modell zur Visualisierung, 2001
Tmema (Golan Levin, Zachary Lieberman), Manual Input Workstation, 2004
Norbert Pfaffenbichler & Lotte Schreiber, AUDIO VISUAL OBJECT 01, 2006
Herwig Weiser, zgodlocator, 2002/2009
Ultra-red, Untitled (for six voices), 2008