Ab Ende der 1960er-Jahre forderten zahlreiche soziale Protestbewegungen lautstark einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. Nicht nur äußerlich sollten sich die Dinge ändern, auch innerlich. Ein umfassender Bewusstseinswandel schien notwendig, aber auch schon im Gange zu sein: Die elektronischen Massenmedien revolutionierten die soziale Kommunikation, darüber hinaus versprachen Meditation, Therapie und Drogen, die Wahrnehmungsfähigkeit zu erweitern. Große Teile dieses Impetus wurden im künstlerischen Bereich bereits ein Jahrzehnt früher verhandelt. Entsprechende Unterweisungen finden sich in Texten wie The Doors of Perception von Aldous Huxley (1954): Halluzinogene wie Meskalin und LSD schienen Potenziale der menschlichen Wahrnehmung erlebbar zu machen, die sonst durch die Sinnesorgane zensuriert wurden. Die unzensurierte Wahrnehmung, die auch sonst im Zusammenhang mit Rausch, Musik und neuem Körperausdruck beschworen wurde, stand für Ganzheitlichkeit und Intensität, für einen Ausbruch aus dem monotonen alltäglichen Leben. Ein einfaches künstlerisches Instrument hierfür entwarf der Beatnik-Poet Brion Gysin mit seiner Dreamachine (1961), einer Art Lampe, die auf einem Plattenspieler kreist und durch ein Stroboskop stimulierende Flickereffekte erzeugt. Noch weiter in Richtung Trancemaschine ging Tony Conrad mit seinem Film The Flicker von 1965, der die einzelnen Betrachter in einen hypnotischen Bewusstseinszustand versetzte, in dem jeder seinen eigenen Film sah. Die neuen Medien führten zu euphorischen Manifesten wie Stan VanDerBeeks Culture Intercome (1966), in dem er alle Künstler aufforderte, die neuen audiovisuellen Vorrichtungen zu pädagogischen Werkzeugen umzuformen und eine neue Weltsprache zu erfinden. Sie führten aber auch zu prophetisch-skeptischen Schriften wie William S. Burroughs Electronic Revolution (1971). Einige Künstler entwickelten ihre neuen multimedialen Visionen in unmittelbarer Zusammenarbeit mit Technikfirmen. Sie drängten in die Laboratorien, um sie zu Orten der Umerziehung der Wahrnehmung (Branden W. Joseph) zu machen, und deren Türen (IBM u. a.) wurden bereitwillig geöffnet. Eines der bekanntesten Projekte dieser Art war die von Le Corbusier, Iannis Xenakis und Edgar Varèse konzipierte Präsentation der Elektrofirma Philips auf der Brüssler Weltausstellung von 1958. In einem aus hyperbolischen Kurven geformten Pavillon präsentierten sie ein multimediales Sound-und Bildspektakel (Poème électronique), das viele heutige Event-Formate vorwegnahm. Andere Künstler und Künstlerinnen experimentierten mit Sound, um spezielle körperliche Erfahrungen von Frequenzen und Resonanzen zu ermöglichen. Laurie Anderson erforschte in ihrem Handphone Table (1978) den Körper als Schallübertragungsinstrument, während Bernhard Leitner in seinem Ton-Anzug (1975) Soundkompositionen direkt am Körper und zwischen den Körpern kreisen ließ und so die Körper-Raum-Beziehung sowie das Hören von Raum untersuchte. Pauline Oliveros – eine wichtige Komponistin der elektronischen Avantgardemusik –, die für ihre Werke die Akustik gigantischer Naturhöhlen nutzte, entwickelte das Konzept des Deep Listening, das sie in den 1970er-Jahren auch als Selbsterfahrungstherapie in freier Natur anbot. Sound beeinflusste nicht nur die Körper, er begann auch ein Eigenleben zu führen. La Monte Young und Marian Zazeela entwickelten 1962 das Konzept eines Dream House, in dem Kompositionen, die nur auf reiner Stimmung (im Unterschied zur wohltemperierten) beruhen, durch Sinuswellengeneratoren kontinuierlich gespielt werden, um als lebendiger Organismus mit eigenem Leben und eigener Tradition in der Zeit zu existieren. La Monte Young nennt diesen Zustand einen drone state of mind, der das Nervensystem beeinflusst und für neue Erkundungen öffnet. Diese elektronischen Sound- und Licht-Environments bestanden über mehrere Jahre und sollten dazu einladen, lange in ihnen zu verweilen. Sie boten Gelegenheit für einen spirituellen Rückzug. Einen weniger innerlichen Weg schlug der Soundkünstler Max Neuhaus ein. Mit seinen Untersuchungen begab er sich in den 1960erJahren bewusst in den lärmenden öffentlichen Raum New Yorks. Seine Sound Walks waren kleinen soziologischen Stadterforschungen vergleichbar, die die Aufmerksamkeit auf die akustischen und soziopolitischen Veränderungen im öffentlichen Raum lenkten. Ähnlich lassen sich Ryszard Waśkos 30 Sound Situations als lakonische Miniatur-Gesellschaftsanalysen im Polen der 1960er-/70er-Jahre hören und sehen.
James Whitney, Yantra, 1956
Brion Gysin, Dreamachine, 1960
La Monte Young & Marian Zazeela, Dream House, 1962
Tony Conrad, The Flicker, 1966
Jonas Mekas, Velvet Underground’s First Appearance, 1966 (aus Scenes from the Life of Andy Warhol: Friendships and Intersections, 1963–1990)
Max Neuhaus, Sound Walks, 1966
Max Neuhaus, Times Square, 1977
Jordan Belson, Samadhi, 1967
Ira Cohen, The Invasion of Thunderbolt Pagoda, 1968
Bernhard Leitner, Ton-Anzug, 1975
Ryszard Waśko, 30 Sound Situations, 1975
Laurie Anderson, Handphone Table, 1978
David Rokeby, Very Nervous System, 1986–1991
Christian Philipp Müller, Das unvollständige Gedicht, 1992/2009
Granular Synthesis, Sinken, 1999
Nina Stuhldreher, Private Cyberspace, 2002
TeZ, Optofonica Capsule, 2007