Tanz als Audiovision

4 Ballets Russes, Mechanisches Ballett

Der Erfolg der Ballets Russes in den 1910er und 1920er Jahren basiert auf der Zusammenarbeit ihres Impresarios Serge Diaghilew mit Komponisten wie Strawinsky, Prokofjev und Satie, die sich von musikalischen Konventionen abwenden, und der gleichzeitigen Abkehr der Choreografen vom akademischen klassischen Tanz. Zum Umgang mit der Musik konkurrieren verschiedene Ansätze. Michel Fokine vertanzt zuerst bestehende konzertante Vorlagen: Camille Saint-Saëns in Der sterbende Schwan (1907) oder Carl-Maria von Weber in Le spectre de la rose (1911). Tanz müsse die visuelle Entsprechung zu Gegenstand, Zeit und Charakter der Musik immer wieder neu suchen.[15] Gleichermaßen zum Tanz- und Musikskandal wird Vaslaw Nijinskys Choreografie der Uraufführung von Strawinskys Le sacre du printemps (1913).[16] Mit ihrer polytonalen, polyrhythmischen Struktur, ihren Dissonanzen und repetitiven Motiven bricht die Komposition mit dem akademischen Kanon; dasselbe gilt für den Tanz mit seinen kantigen Bewegungen auf flachem Fuß. Der Sacre wird zum am häufigsten vertanzten Musikstück des 20. Jahrhunderts.[17]. Ein jüngster wissenschaftlicher Erklärungsversuch dieser Popularität argumentiert anhand des neurologischen Modells der Spiegelneuronen mit der direkten physischen Wirkung des Nachvollzugs akustischer und visueller Rhythmen, welche im Fall des Sacre besonders stark ausfalle.[18] Léonide Massine entwickelt, beginnend 1933 mit Les Présages zu Tschaikowskys fünfter Sinfonie, das sinfonische Ballett als Umsetzung sinfonischer Werke, einer weiteren bisher als untanzbar geltenden Musikform. Dagegen argumentiert Serge Lifar 1935: […] das Ballett kann ganz auf Musik verzichten.[19] Insgesamt kreieren die Ballets Russes das Ballett als Gesamtkunstwerk, das in der Zusammenarbeit von Choreografen, Musikern, Literaten und bildenden Künstlern entsteht. Im Produktionsprozess bleibt die Unabhängigkeit jeder Sparte gewahrt; es finden lediglich thematische Absprachen statt. So entstehen heterogene, künstlerisch reiche Stücke, die jeder Disziplin ihren Spielraum lassen und nicht selten zuletzt den Choreografen vor vollendete stilistische Entscheidungen stellen.

In den 1920er und 1930er Jahren nennt der Bauhauskünstler Oskar Schlemmer mehrere seiner Bühneninszenierungen Ballette, für die auch die Bezeichnung Mechanische Ballette üblich ist. Zu seiner Kooperation mit Paul Hindemith für das Triadische Ballett notiert Schlemmer, es solle das etwas puppenhafte der Tänzer mit dem spieldosenähnlichen Musikalischen konform gehen oder […] eine Einheit schaffen, die dem Begriff Stil entspricht.[20] Ein sinfonischer Charakter sei insofern beabsichtigt, als die einzelnen Tänze in ihren Titeln die musikalischen Bezeichnungen übernähmen.[21] Visuell wird das Triadische Ballett vom skulpturalen Verfremdungseffekt der Kostüme und Masken dominiert, in denen Bewegungsprinzipien wie die Pirouette der Ballerina im steifen Tellerrock bildhaft eingefroren sind.

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