Ausgangspunkt von SEE THIS SOUND ist eine Kooperation des Lentos mit dem Ludwig Boltzmann Institut Medien.Kunst.Forschung. zum Forschungsgebiet des Zusammenspiels von Bild und Ton in Kunst, Medien und Wahrnehmung. 2009, aus Anlass der Europäischen Kulturhauptstadt, sollte daraus eine Ausstellung erwachsen. Doch wie lässt sich solch ein weites Themenfeld überhaupt für einen begrenzten Ausstellungsraum strukturieren? Wie dieses lärmende, ratternde und wispernde Feld für ein vornehmlich visuelles Medium aufbereiten? Frühere Ausstellungen haben das Gebiet etwa über das Phänomen der Synästhesie erschlossen. Erzählt wurde dabei zumeist eine universelle Geschichte vom Zusammenhang zwischen Farben und Tönen beziehungsweise von der Farborgel bis zur VJ-Kunst. Andere Ansätze strichen die enorme Bedeutung der Musik heraus, die sie für die Entwicklung der Malerei hin zur Abstraktion hatte. Wieder andere orientierten sich am Phänomen Noise und spannten den Bogen vom Lärmmanifest der Futuristen bis hin zur zertrümmerten Gitarre. Oder die Medientechnik stand im Zentrum oder das Musikvideo, animierte Automatenmusik oder das Gebiet der Sound Art im Sinne von Klangarchitektur.[1] SEE THIS SOUND setzt im Gegenzug gezielt bei der zeitgenössischen Kunst und deren Diskussionen an. In der Ausstellung geht es weniger um ein Panorama des als frei imaginierten Feldes der Überschneidungen von Bild und Ton als um den jeweils zeitgenössischen Kunstbegriff und die Versprechungen, die damit verbunden wurden. SEE THIS SOUND zeigt in acht Bereichen einige wichtige Wegmarken und historisch-soziale Bezugspunkte, in deren Zusammenhang sich Künstlerinnen und Künstler mit Sound und Komposition beschäftigt und das mediale Verhältnis von Bild und Ton reflektiert haben. Die einzelnen Bereiche sind übertitelt mit Versprechungen einer Augenmusik; Neue Wahrnehmungsweisen; Grenzlinienkunst; Nicht versöhnt; Audiovisuelle Experimente; Site.Sound.Industry; Come Together – Let’s dance; Hintergrundgeräusche – Institutionelle Sounds und werden in den jeweiligen Kapiteltexten gesondert erläutert. Es geht von Mal zu Mal darum, einzelne Phänomene oder auch historische Momente ganz spezifisch zu beleuchten. Doch es gibt auch die verschiedenen Kapitel Übergreifendes: Mit dem Zusammenspiel von Bild und Ton, mit dem Crossover von bildender Kunst und Musik, kurz: mit der Intermedialität waren über die Zeiten immer wieder erstaunliche Versprechungen verbunden – und sind es mitunter bis heute. Oft schien bereits das schiere Überspringen der Gattungsgrenzen gleichbedeutend mit Bewusstseinswandel, Erreichen von Universalität und Ganzheitlichkeit zu sein. Zumindest bot es einen Vorschein auf diese sozialen und technologischen Utopien. Nicht wenige Künstlerinnen und Künstler arbeiteten geradezu euphorisch an einer Universalsprache, am symbolischen Sprengen von (Gattungs-)Grenzen, am Beseelen der Maschinen oder am revolutionären Gegenbewusstsein. Ein wichtiger Bezugspunkt für diese Erzählweisen ist die Zeit der Romantik um 1800: Zu nennen ist da einerseits der Begriff der progressiven Universalpoesie, wie er von Friedrich Schlegel formuliert wurde und eine allumfassende, aber fragmentarische, da ewig im Werden begriffene Verbindung von Literatur, Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Blick hatte.[2] Andererseits der Begriff Gesamtkunstwerk, der in Anlehnung an Friedrich Schellings Wort von der nothwendigen Gottwerdung des Menschen auf die gegenseitige harmonische Ergänzung der kulturellen Gattungen zu einem größeren Ganzen abzielte. Beiden Begriffen gemein ist, dass man nicht mehr demütig auf die göttliche Schöpfung verweisen, wie es bei aller Pracht noch die Kunst zwischen Gotik und Barock tat, sondern Anspruch auf eigene Geltung erheben wollte.[3] Als typisch romantische Wende nach der Aufklärung kam der verschränkten Kulturproduktion dabei bald die Funktion einer Ersatzreligion zu. Dieses universelle zukünftige Idealreich der Kunst[4], wie es auch 1911 im Almanach Der Blaue Reiter imaginiert wurde, steht immer wieder zur Disposition, wenn es um die Inanspruchnahme der Musik für die bildende Kunst geht. Der romantische Impetus scheint sich bis heute durchzuziehen. Viele Künstlerinnen und Künstler, die ihre Arbeit an den Grenzlinien von Bild und Ton verorten, sind ihm bewusst oder unbewusst verbunden. Andere wiederum kommentieren in ihren Arbeiten diesen Impetus mit ironischer Distanz, mit kritischer Reflexion oder melancholischem Gestus – auch sie werden in der Ausstellung SEE THIS SOUND präsentiert. John Cage ist hierfür ein wichtiges Beispiel. Bei Cage konnte alles zum Bestandteil der Komposition werden, selbst das Publikum. Durch seine anarchistische Herangehensweise stellte er die gesamte europäische Musiktradition infrage. Aber der Begriff des Intermedia, der gerne im Zusammenhang mit Cage und auch Fluxus verwendet wird, ist hier widersprüchlich. Indem er vermittelnd zwischen getrennten Medien und Gattungen gedacht ist, bestätigt Intermedia zugleich hartnäckig die historische Konstruktion dieser Grenzen. Die intermedialen Herangehensweisen von Cage und anderen Fluxus-Künstlern verstanden sich jedoch dezidiert als Gegenentwurf zum traditionellen Verständnis von Kunst und einer damit verbundenen harmonischen Synthese der Künste, wie sie beispielsweise bei Richard Wagner oder im Blauen Reiter idealisiert wurde. Thomas Kellein hat diese Differenzen in einer früheren Analyse der Intermedialität bereits pointiert zusammengefasst: Synästhesie nach 1910 tastete die traditionellen Werkformen, den Werkbegriff und die Autorschaft des Künstlers zunächst nicht an, vielmehr zielte die Inanspruchnahme der Musik für die Malerei auf eine Solidarität unter den Gattungen, um sich gegen die schon von Wagner beklagte Respektabilität der Massenkultur sowie gegen den allerorten zunehmenden Materialismus zu richten.[5] Zeitaktuell verstand sich die intermediale Praxis der 1950er-Jahre vor allem als Gegenentwurf zur damals dominanten Erzählweise des High Modernism, die die Geschichte des Autonomwerdens von Kunst als eine Geschichte der zunehmenden Besinnung auf die für die einzelnen Künste jeweils spezifischen Darstellungsmittel sah. Aus heutiger Perspektive war Cages Gegenentwurf überaus erfolgreich: Seitdem – vorbereitet durch Marcel Duchamps Invention der Ready-mades – wird künstlerische Praxis nicht mehr durch ein Medium und bestimmte Fertigkeiten definiert oder durch Gattungszugehörigkeit. Sie besteht vielmehr aus logischen Operationen[6], für die jedes Medium verwendet werden kann. Geht man von solch einem Denken aus, dann zeigt sich, dass die Diskussion über Gattungsüberschreitung, Synthesen und Crossover Teil von grundsätzlicheren Fragen ist, die das System Kunst und seine Konstruktion betreffen. Es gilt dann zu beobachten, was diese logischen Operationen sind, wer sie letztlich wie legitimiert und anerkennt und in welchen ökonomischen und institutionellen Zusammenhängen sie wirken.[7] Die Rede von Überschreitungseuphorie und damit verbundenen uralten Menschheitsträumen entpuppt sich dann als schwärmerische oder bewusst naturalisierende Rhetorik, die die spezifischen historischen Konstellationen und Fragestellungen zum Kunstbegriff ausblendet. Mittlerweile ist es selbstverständlich, dass Künstlerinnen und Künstler mit allen möglichen Medien arbeiten. Werden die Ergebnisse heute aber dezidiert Intermedia oder Medienkunst genannt, ist das eher ein Zeichen dafür, dass sie im Kontext der bildenden Kunst keine Anerkennung finden beziehungsweise dort auch keine suchen. Gert Loovink, der wiederholt gegen den Kleinkrieg zwischen Film, neuen Medien und bildender Kunst polemisiert hat, spricht diesbezüglich von selbst gewählten Ghettos der Medienkunst, die durch Veranstalter wie ZKM, Ars Electronica und V2 institutionalisiert wurden und die er wiederum als Antipoden einer Entwicklung hin zu einer Expanded Visual Culture in Zeiten von YouTube sieht.[8] Solch einer Selbst-Ghettoisierung entzieht sich die Ausstellung SEE THIS SOUND auch schon durch ihre heterogene Struktur: Die acht Ausstellungskapitel stecken jeweils ihren Bereich ab und folgen keiner linearen Erzählung. Einige Bereiche stellen Schlaglichter auf historische Konstellationen dar, andere beleuchten das Verhältnis von Bild und Ton thematisch. Das Kapitel Site.Sound.Industry funktioniert sogar wie eine gesonderte Ausstellung, da es von einer externen Expertin und einem externen Experten, der Musik-und Filmjournalistin Petra Erdmann und dem Kunsttheoretiker Christian Höller, zusammengestellt wurde. In manchen Bereichen dominieren einzelne Installationen, etwa das Dream House von La Monte Young und Marian Zazeela oder Das Unvollständige Gedicht von Christian Philipp Müller; andere Kapitel bieten umfangreiches Dokumentationsmaterial. Von den Kulturwissenschaftlern und Journalisten Matthias Dusini und Thomas Edlinger wurden zusätzlich acht Audiobeiträge erarbeitet, die – wie kleine thematische Radiofeatures komponiert – einen speziellen Fokus auf Sound in alltags- und popkulturellen Zusammenhängen richten. Zusammengehalten werden diese divergierenden Szenen dennoch: einerseits durch das gemeinsame Thema des Zusammenwirkens von Bild und Ton, andererseits durch die Ausstellungsarchitektur von Nicole David, die dem grenzenlosen Gebiet ein strukturierendes Rückgrat eingezogen hat. Dieses bauliche Rückgrat, das sich in der Mitte des Hauses durch beide Ausstellungshallen spannt, bietet Platz für maßgeschneiderte Projektionsräume, ohne die eine Ausstellung, die auch viele filmische Installationen präsentiert, nicht auskommen kann. Ein weiteres auffallendes Gestaltungselement sind lange Vorhänge, die sich wie ein rhythmisches Band um die Mittelachse legen. Die schlammgrauen Stoffmengen erfüllen in der Ausstellung nicht nur akustische Zwecke. Sie machen auch sicht- und fühlbar, dass wir uns als Besucher auf verschiedenen Bühnen, mithin also in ästhetischen Zonen der Verschiebung befinden. Der Vorhang, der im Theater die Grenze zwischen ästhetischer Repräsentation und Realität markiert, wird im Museum zum selbstständigen Zeichen für eine Diskussion, in der auch die traditionellen Definitionen der bildenden Kunst gefaltet und gerafft werden. Das Kunstmuseum als stille Bildergalerie wird geradezu verkleidet. Diese Travestie verweist ebenso auf die Unzulänglichkeit der üblichen Museumsarchitektur für zeitgenössische künstlerische intermediale Produktion wie auch auf die immer noch aktuelle Symptomatik des Diskurses um die bedrohliche Theatralität einer Kunst, die sich klaren Ordnungssystemen entzieht.[9] Doch nicht nur theatralische Kunst, die mit Sound und Noise einhergeht, verschmutzt den stillen, reinen Raum des Museums. Ähnlich hat man Möbel, Grünpflanzen, Vorhänge und Kamine, die noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts in Museen üblich waren, bald als Verschmutzung empfunden und den Museumsraum zunehmend von ihnen gereinigt.[10] Brian O’Doherty, einer der wichtigsten Chronisten dieser Reinigungsgeschichte, hat über das Körper- und Aktionsfeindliche der gängigen Museumsräume bereits in den 1970er-Jahren publiziert: Alle ästhetischen Mischformen haben eine Tendenz zum Theater, die parallel zur Entwicklung des Galerie-Raumes verläuft, aber wenig zu dessen Definition beiträgt. Theater kann in der Galerie nicht überleben.[11] Der Vorhang wird damit auch zu einem Zeichen für eine geradezu geisterhafte Präsenz. Die Ton- und Bild-Verhältnisse werden erst durch Kopfhörer, Schalldämmungen und Black Boxes rezipierbar. Denn eine Ausstellung, die Sound thematisiert, kann in einem Museum nur zu bestimmten Bedingungen überleben.[12] Die Vorhänge bei SEE THIS SOUND sind somit auch Symbol für ein double bind, das den Blick freigibt und das Gehör schärft für andere künstlerische Vorstellungen beziehungsweise für Versprechungen von Bild und Ton, die in einer musealen Bildergalerie eigentlich nicht vorgesehen sind.