Audiovisuelle Wahrnehmung
2 Zusammenwirken und Singularisierung der Sinne
Auch wenn man die Bedeutung derartiger modalspezifischer Qualitäten nicht genug betonen kann, liegt die besondere Leistung unseres Wahrnehmungsapparates in der Verknüpfung und Konvergenz dieser vermeintlich abgeschotteten Domänen – erst ihr synergetisches Zusammenwirken hat dem Menschen seinen evolutionären Vorteil verschafft.
Despite the creation of a means of segregating information on a sense-by-sense basis, evolution did not eliminate the ability to benefit from the advantages of pooling information across sensory modalities. Rather, it created an interesting duality: some parts of the brain became specialized for dealing with information within individual senses, and others for pooling information across senses. [3]
Nur in den seltensten Fällen sind wir mit Sinnesreizen einer einzigen Modalität konfrontiert, erschließen wir unsere Umwelt doch mit fünf Sinnen und somit multimodal. Tatsächlich ist die Aufteilung unserer Wahrnehmung in mehrere voneinander unabhängige Welten – hören, sehen, riechen, schmecken, fühlen – eine enorme Abstraktionsleistung, die jeder Mensch erst im Rahmen der kulturellen Sozialisation erlernt. In der Literatur stößt man mitunter auf den aufschlussreichen Hinweis, dass die Medien und technischen Apparate des 19. Jahrhunderts zur Singularisierung unserer Sinne beigetragen haben. Denn Klang, Bewegung, Körper und Bild standen in der Kulturgeschichte zumindest so lange in einem unmittelbaren Verhältnis, bis technische Möglichkeiten deren Separierung forcierten. […] Wie paralysiert starrten die Menschen auf die Trichter von Grammophonen. Von da an wird also die Spezialisierung bestimmter Körperfunktionen außerhalb des Körpers forciert und damit auch die Spezialisierung der Sinne.[4] Unabhängig davon, ob man diese konkrete Einschätzung teilen will, scheint es nicht von der Hand zu weisen zu sein, dass die technische Entwicklung und die menschliche Wahrnehmung eng miteinander verwoben sind. Seitdem es mit der Entwicklung der audiovisuellen Medien im 20. Jahrhundert nun möglich ist, Bild und Ton synchron aufzunehmen und wiederzugeben, haben sich unsere Wahrnehmung, der Gebrauch und die Gewichtung unserer Sinne erneut transformiert – die Trennung von Hören und Sehen wird auf technischer Basis untergraben. Während das in der westlichen Kultur dominierende Primat des Auges als zusehends problematisch erscheint, wird das Zusammenwirken der Sinne aufgewertet und immer öfter zum Thema gemacht. Auch deshalb kann heute auf sinnhafte Weise von audiovisueller Wahrnehmung gesprochen werden, wobei in Folge einige Mechanismen des komplexen Zusammenspiels von Hören und Sehen vorgestellt werden sollen.