Künstlermusiker & Musikerkünstler

2 Die Abstraktion als Vermittlungsinstanz

Die sich seit dem späten 19. Jahrhundert verbreitende Abkehr vom Gedanken einer Autonomie der Künste und der Zurückweisung eines illusionistischen Charakters der Malerei führte zur Ablehnung tradierter Verfahrensweisen und Gestaltungsprinzipien und zu einer Neubestimmung und Neuorganisation des ästhetischen Materials.

Im Zentrum der Kunst der Moderne stand daher die Beschäftigung mit den Grundelementen (Farbe, Formen, Töne etc.) und Grundbedingungen (Präsentationsformen und -orte) der künstlerischen Produktion. Die damit einhergehende Hinterfragung der Grenzen etablierter Disziplinen (Malerei, Musik, Theater), aber auch neuerer Bildmedien (Foto, Film) sowie das Interesse an Universalismus und Synästhesie verstärkten interdisziplinäre Aktivitäten. Mit dem Streben nach der Unabhängigkeit der Mittel und der Loslösung vom Gegenstand suchten die bildenden Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach einer neuen Terminologie der Malerei. Sie wählten Begriffe, die sie oftmals der Musik entlehnten, der sie per se abstrakten Charakter zusprachen. So wurden bildnerische Werke in jener Zeit häufig Komposition, Sinfonie, Improvisation oder Rhythmus genannt.

Solche grenzüberschreitenden Versuche auf der konzeptuellen Ebene wurzeln mitunter in einer praktischen Doppelbetätigung, wie sie beispielsweise bei Paul Klee vorlag. Er verdiente seinen Lebensunterhalt noch bis 1906 als Violinist in der Bernischen Musikgesellschaft, entschied sich aber schließlich für eine Laufbahn in der bildenden Kunst. Seine Malerei blieb von der Musik keineswegs unberührt – im Gegenteil: Prinzipien der musikalischen Form bildeten eines der entscheidenden Kriterien für Klees bildnerische Kompositionen sowie für seine pädagogischen und theoretischen Schriften. Einige seiner Bilder wie etwa Polyphon gefasstes Weiss (1930) spiegeln mit ihren durch Überlagerung und Durchdringung unterschiedlicher Farbflächen entstandenem Formgefüge Klees Auffassung der gegliederten, komponierten Fläche als mehrstimmige, polyphone Form. Auch Themenbildung, Variation und sogar fugenartige Verfahren, wie in Fuge in Rot (1921), übertrug er gewissermaßen als Musikerkünstler auf die Bildkomposition.

Enge Verflechtungen von Musik und bildender Kunst sind aber nicht ausschließlich in den Arbeiten von mehrfach ausgebildeten Musiker/Künstlern zu beobachten. Ein Interesse an der jeweils anderen Kunstform ging durchaus mit explizit interdisziplinären Fragestellungen einher, die besonders im Rahmen des Aufbruchs in die Abstraktion für die Malerei und später für den Film immer bedeutender wurden.

Wassily Kandinsky, fasziniert vom Phänomen der Synästhesie und theosophisch-universalistischen Ideen, stand in engem, für beide Seiten fruchtbaren Kontakt mit dem prominenten Vertreter der musikalischen Abstraktion, dem Zwölftonkomponisten Arnold Schönberg. Kandinsky erkannte in der Musik Schönbergs eine Wesensverwandtschaft zu seinen abstrakten Bestrebungen in der Malerei.[2] So entstand das Gemälde Improvisation III (Konzert) (1911) unter dem unmittelbaren Eindruck eines Konzerts von Schönberg, bei dem unter anderem dessen Streichquartett op. 10 (1907/1908) aufgeführt wurde. Umgekehrt schuf Schönberg ein breites Oeuvre an Gemälden, von denen einige in der ersten Ausstellung des Blauen Reiters im Dezember 1911 gezeigt wurden und unter denen besonders die Serie der Eindrücke und Fantasien[3] eine Nähe zur Abstraktion aufweist.

Auch der Dadaist und Begründer des konstruktivistischen Films Hans Richter wurde durch den Austausch mit dem Komponisten Ferruccio Busoni, der ihm das Kontrapunktstudium empfahl, zur abstrakten Bildgestaltung angeregt. Der musikalische Kontrapunkt inspirierte ihn in seiner grafischen, malerischen und später filmischen Produktion (z. B. in seinen Rhythmus-Filmen), bei der das dynamische Aufeinandertreffen von dunklen und hellen Flächen als visueller Kontrapunkt realisiert werden sollte.[4]

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