Seit in der griechischen Antike die pythagoreischen Philosophen die Musik mit einem zahlentheoretischen Ordnungssystem verknüpft hatten, ist auch die musikalische Komposition in Form einer Harmonielehre mit dem architektonischen Entwurf in Form einer Proportionstheorie verbunden.
Die gemeinsame zahlentheoretische Grundlage bleibt über Jahrhunderte das konstituierende ästhetische Prinzip für die musikalische Komposition und den architektonischen Entwurf. Insbesondere in der Renaissance werden die Analogien zwischen der Schönheit oder Ausgewogenheit eines Gebäudes oder Raumes mit der musikalischen Harmonie und dem Wohlklang ausgearbeitet. Mit der romantischen These, dass die Architektur versteinerte oder gefrorene Musik sei, wird die Verwandtschaft von Musik und Architektur schließlich zum geflügelten Wort. Erst im 20. Jahrhundert wird die objektive zahlentheoretische Grundlage von Musik und Architektur relativiert und schließlich aufgehoben. Anstelle eines universalen Harmoniekonzepts treten neue gemeinsame ästhetische Einstellungen – wie z. B. die Maschinenästhetik, die Synthese der Künste oder der Utilitarismus –, die unmittelbare Zusammenhänge von musikalischer Komposition und architektonischer Konstruktion erkennen lassen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert erweitert sich die Schnittstelle von Architektur und Musik zunehmend um Aspekte des klingenden Stadt- und Landschaftsraumes im Sinne einer Klangarchitektur.
Die enge Verwandtschaft von Musik und Architektur ist seit fast dreitausend Jahren aus der chinesischen, ägyptischen und insbesondere griechischen Kulturgeschichte und Philosophie überliefert. Diesem antiken Verständnis folgend, beruhen Musik und Architektur gleichermaßen auf Ordnungsstrukturen, die wir in Form von Zahlenverhältnissen ausdrücken können und die ihre besonderen Exemplifikationen in der musikalischen Harmonielehre und architektonischen Proportionstheorie finden.
Die pythagoreische Harmonielehre gilt in der Antike als universaler Maßstab der musikalischen Komposition und daraus abgeleitet auch als Maßstab des architektonischen Entwurfs – sei es z. B. in Form der Säulenordnungen, des Maßverhältnisses des Grundrisses eines Gebäudes oder der Gestaltung von Fassaden. Im platonischen Dialog Timaios, in dem es um die Erschaffung der Weltseele und um die kosmische Ordnung im Sinne einer Harmonie der Himmelssphären geht, werden die pythagoreischen Verhältnisse des Ganzen zu seinen Teilen erläutert. Zahlenharmonien manifestierten sich nach den Pythagoreern sowohl im Bau des gesamten Kosmos als auch der Struktur der menschlichen Seele. Die früheste Anwendung der pythagoreischen Harmonielehre in der Architektur ist durch Vitruvs Traktat De architectura libri decem aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert überliefert, in dem sie der Bildung gelungener Proportionen handwerklicher Gegenstände dienen sollen. Vitruv forderte zur angemessenen Ausbildung des Architekten auch die Kenntnis der Musik.
Die dem pythagoreischen Harmoniebegriff zugrunde liegende Zahlenästhetik wird – in verschiedenen Variationen und Weiterentwicklungen – für die Theorie und Praxis der Musik und Architektur in den nachfolgenden Jahrhunderten bestimmend. Im Mittelalter wird die antike kosmische Harmonielehre mit einem christlichen Symbolgehalt überhöht und mit besonderen Konstruktionsmethoden (z.B. Goldener Schnitt, Fibonacci-Zahlen) verbunden. Diese Weiterentwicklungen des Verhältnisses von Musik und Architektur werden theoretisch z. B. in den Abhandlungen von Augustinus oder Boethius wieder aufgenommen und finden sowohl in den christlichen Kultbauten, z. B. den mittelalterlichen Klosterkirchen oder gotischen Kathedralen und im berühmten Bauhüttenbuch des Villard de Honnecourt Anfang des 13. Jahrhunderts Anwendung.
Ein besonderer Bezug hinsichtlich architektonischer und musikalischer Harmonie besteht zwischen dem Florentiner Dom Santa Maria del Fiore und Guillaume Dufays Domweihmotette Nuper rosarum flores aus dem Jahre 1436. Zwischen der Zahlenstruktur der Motette und den proportionalen Maßen der Kathedrale sind Analogien feststellbar.
In der Renaissance wurde die pythagoreische Zahlenästhetik wieder aufgegriffen und zu einer umfassenden Proportionslehre in der Architektur weiterentwickelt. Ein eindrucksvolles Beispiel für die aus der Antike überlieferte Entsprechung von Musik und Architektur stellt Leon Battista Albertis Fassadengestaltung des Florentiner Palazzo Rucellai aus dem Jahr 1455 dar. Alberti, der in seinem Traktat De re aedificatoria (1485) unter Bezugnahme auf die Musik bereits die idealen Proportionen für verschiedenen Raumgrößen auf der Grundlage der pythagoreischen Zahlenverhältnisse dargelegt hatte, realisierte bei der Gestaltung der Außenfassade des Palazzo Rucellai ein Proportionsgefüge, bei dem er sogar noch über die pythagoreischen Konsonanzen hinausging. So bezog er bei der Gliederung der Fassade neben der Oktave, der Quinte und der Quarte, d. h. neben den Verhältnissen 1:2, 2:3 und 3:4 sowie deren Vielfache, auch Proportionen mit ein, die mit der Zahl 5 gebildet werden und musikalisch den reinen Terzen (große Terz 4:5, kleine Terz 5:6) und Sexten (große Sexte 3:5, kleine Sexte 5:8) entsprechen. Die Einbeziehung dieser Proportionen, die insbesondere im Proportionsgefüge (Fassadengestaltung, Grundriss und Raumgefüge) der Bauten von Andrea Palladio einen großen Stellenwert haben, nimmt eine wesentliche musiktheoretische Neuerung des 15. und 16. Jahrhunderts auf, nach der neben Oktave, Quinte und Quarte nun auch die Terzen und Sexten als konsonante Intervalle anerkannt wurden. Damit war musikästhetisch der Weg frei für die Dreiklangsharmonik, die das mittelalterliche Quint- und Quartorganum ablöste und zu einem bestimmenden musikalischen Wesensmerkmal avancierte, das bis in die Spätromantik hinein Gültigkeit hatte.
Kritik an der pythagoreischen Harmonielehre findet sich in Ansätzen bereits in der gotischen Architektur. Die ästhetische Prämisse, Schönheit bzw. Harmonie beruhe auf abstrakten und damit auf unveränderlichen Zahlenverhältnissen, wird in den architekturtheoretischen Diskursen des 17. und 18. Jahrhunderts – exemplarisch in der Auseinandersetzung von Claude Perrault mit dem Neuplatoniker François Blondel – zunehmend in Frage gestellt. Die Aufhebung der objektiven Grundlage der pythagoreischen Harmonielehre wird letztendlich in der Romantik mit der Vorstellung vollzogen, dass die Ästhetik – wie in Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft ausgeführt – eine Theorie des subjektiven Geschmacksurteils ist und die musikalisch-harmonischen Proportionen nur einer subjektiven Deutung oder der persönlichen Empfindung unterliegen.
Auch die romantische These – wie sie sich in Variationen bei Friedrich Wilhelm Joseph Schelling oder Johann Wolfgang von Goethe findet –, dass die Architektur als versteinerte, erstarrte oder gefrorene Musik aufzufassen sei, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Sicherlich wird die Konzeption einer Harmonia mundi und die Vorstellung von musikalischen und architektonischen Analogien z. B. in Schellings Philosophie der Kunst noch nicht vollständig aufgehoben, aber das Verhältnis von Musik und Architektur verschiebt sich auf eine besondere Weise. Die Musik nimmt aufgrund ihrer Ungegenständlichkeit neben der Dichtung den höchsten Rang im Kanon der Künste ein, wohingegen die Architektur aufgrund ihrer groben Materialität ziemlich weit unten rangiert. Diese metaphysische Grundlegung der Künste, die Ungegenständlichkeit und Gegenständlichkeit gegeneinander ausspielt, wird deutlicher, wenn man z. B. zwei kunstphilosophische Thesen miteinander vergleicht. Gemeint sind die ganz im Sinne des Pythagoreismus geäußerte rationalistische These von Gottfried Wilhelm Leibniz, nach der die Musik eine geheime arithmetische Übung des zählenden Geistes ist, und Arthur Schopenhauers Parodie dieser These, nach der die Musik eher eine geheime metaphysische Übung des philosophierenden Geistes darstellt. Zusammenfassend lässt sich jedoch feststellen, dass die pythagoreische Harmonielehre in der Musik und Architektur – mit Erweiterungen oder Veränderungen oder in latenter Form – für Jahrhunderte die normative Grundlage von Komposition und Konstruktion war.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bilden ästhetische Einstellungen, die an die von der künstlerischen Avantgarde proklamierte Synthese der Künste und die Ästhetik der Maschine anknüpfen, Vergleichs- und Bezugsmaßstäbe für die musikalische Komposition und den architektonischen Entwurf. Die Merkmale der fortschreitenden Industrialisierung, der Großstadt und des modernen Lebens prägen die bildende Kunst und Musik. Insbesondere im italienischen Futurismus wird die Vorbildfunktion der Maschine für die Klangkomposition, z. B. in den Manifesten und Werken von Francesco Balilla Pratella und Luigi Russolo, und für die neue Architektur, z. B. in den Entwürfen von Antonio Sant’Elia, besonders deutlich. So wie Russolo mit seinen Intonarumori (Lärm- oder Geräuschtöner) auf der Grundlage einer klanglichen Maschinenästhetik neue musikalische Formen generiert, habe das futuristische Haus einer gigantischen Maschine zu gleichen, die sich vom Rande eines lärmenden Abgrunds erhebt. Die Maschine als ein perfekt funktionierender Apparat und Ausdruck des modernen urbanen Lebens spielt sowohl im französischen Purismus der 1920er Jahre (Le Corbusier) – und daraus abgeleitet in der konstruktivistischen Phase der Bauhaus-Architektur (z. B. Walter Gropius, Hannes Meyer) oder dem Internationalen Stil – als auch in den frühen Formen der Maschinenmusik der 1910er und 1920er Jahre eine zentrale Rolle. Beispielhaft können hier Eric Saties Parade (1916–1917) sowie Edgard Varèses Amérique (1921, revidiert 1927) und Ionisation (1931) genannt werden. Le Corbusiers These, dass das Haus eine Maschine zum Wohnen ist[1] sowie seine frühen Wohnmaschinen, von der Villa La Roche (1925) bis zur Villa Savoye (1928–1931), oder die Konzeptionen anderer Architekten für ein mechanisches Haus, z. B. Georg Muches Versuchshaus am Horn (1923) in Weimar, haben ihre Entsprechungen in Kompositionen wie George Antheils Ballet mécanique (1924) oder in zahlreichen mechanischen Kompositionen, z. B. in Paul Hindemiths Komposition für Das Triadische Ballett (Oskar Schlemmer) für mechanische Orgel (1926) gefunden.
Die Wohnmaschinen des Neuen Bauens der 1920er Jahre repräsentieren einerseits Formen funktionalistischer Architektur, die ebenso wie die Formen der populären Gebrauchsmusik der 1920er Jahre im Wesentlichen unter zweckgerichteten Aspekten zu betrachten sind, und führen andererseits zu einer neuen typenbildenden Kanonisierung architektonischer Formen, die an tradierte standardisierte Konzepte der Architektur anknüpfen (z. B. platonische Körper, Neoklassizismus). Diese neoklassizistischen Tendenzen der modernen Architektur, z. B. im Werk von Le Corbusier, haben ihre Analogie in der neuen Klassizität der modernen Musik, z. B. in den Werken von Erik Satie, Ferruccio Busoni oder Igor Strawinsky. Saties Kompositionen, die in besonderer Weise konzeptionell auf den Raum Bezug nehmen, z. B. seine Musique d’ameublement, die in Form von Klangbändern oder -teppichen als Hintergrund zur Ausstattung eines Raumes gehören sollte, oder seine Klavierstücke Ogives (1889), die von gotischer Architektur und der Lektüre von Eugène Emmanuel Viollet-Le-Duc inspiriert waren, sollten – wie im Vorwort zu seiner Partitur Socrate (1916) zu lesen ist – weiß und rein wie die Antike sein. Die Bezugnahme auf die Antike sowie die Merkmale der weißen und reinen Musik Saties wie Ornamentlosigkeit, Einfachheit, Klarheit, Präzision und Ausgewogenheit lassen sich als ästhetische Exemplifikationen auch in der klassischen modernen Architektur und insbesondere in der puristischen Architektur Le Corbusiers erkennen, der Satie in der von ihm mit herausgegebenen Zeitschrift L’Esprit Nouveau als zentrale Figur einer neuen Musikästhetik vorstellt.
Neben den skizzierten Analogien von Maschinenästhetik und neoklassizistischen Tendenzen in der Architektur und Musik sowie von Gebrauchsmusik und funktionalistischer Architektur werden expressionistische Analogien in der Musik, Kunst und Architektur auch am Bauhaus erkennbar.
Der architektonische Expressionismus knüpft an die romantische Vorstellung von der Architektur als erstarrter Tonkunst oder gefrorener Musik an und verbindet in subjektiven Assoziationsreihen den architektonischen Entwurf mit der musikalischen Komposition. Dies gilt gleichermaßen für Hans Poelzigs Entwürfe für das Salzburger Festspielhaus oder seine Skizzen für den Dresdner Konzertsaal wie für die Theater- und Musikhallenentwürfe von Wenzel Hablik, Hans Scharoun oder Wassily Luckhardt: Die expressionistischen Architekturentwürfe sollten zu absoluter Musik und absoluten Farb- und Formspielen aufsteigen und niedertropfen. In den Manifesten, z. B. in Hermann Finsterlins Casa Nova – Zukunftsarchitektur (1919) und den Publikationen der Gläsernen Kette wurde der Grundsatz Wie ein Musiker entwerfen eingehend dargelegt, etwa in Bruno Tauts Buch Der Weltbaumeister, das den Untertitel Architekturschauspiel für symphonische Musik trägt.
Die Bezugnahmen und Formanalogien zwischen architektonischen oder urbanistischen Entwürfen und musikalischen Kompositionen bestimmen weitgehend die Beziehungen zwischen Architektur und Musik von der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Der latente Pythagoreismus in Le Corbusiers Entwurf der musikalischen Glasfenster für das Kloster Sainte-Marie de La Tourette (1956–1960), der auf den Zahlenreihen des Modulors[2] basiert, oder in Iannis Xenakis’ Übertragung der grafischen Notation der Streicherglissandi in seiner Komposition Metastasis (1953-1954) auf die Konstruktionsprinzipien des Philips Pavillons (1958), stellen Ausnahmen dar. Die subjektive oder metaphorische Bezugnahme auf Klangphänomene in der Architektur findet sich z. B. in Le Corbusiers Entwurf der Kapelle Notre Dame du Haut (1950–1955) in Ronchamp. Er bezeichnete die Kapelle als eine Art akustische Skulptur, die ihre Formen in die Entfernung projiziert und umgekehrt die antwortende Lichtenergie der umgebenden Räume empfängt. Diese Vorstellung entspricht dem von Edgard Varèse geprägten Begriff der Klangprojektion und spatialen Musik. Beispiele für eine freie Übertragung musikalisch-notationaler Systeme finden sich in dem urbanistischen Projekt Bloch City (1983) von Peter Cook, bei dem die Noten, Taktstriche und Notenlinien von Ernest Blochs Violinkonzert (1937–1938) als Hochhäuser, Brücken und Fahrbahnspuren interpretiert werden, oder in den dekonstruktivistischen Entwürfen von Bernhard Tschumi sowie in Steven Holls Entwurf Stretto House (1989–1992), in dem Béla Bartóks Komposition Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta (1936) in Architektur übersetzt wird. Umgekehrt spielen auch architektonische Einstellungen oder Bauten für Komponisten eine inspirierende Rolle. Dazu zählen z. B. das universelle, utopische Denken Richard Buckminster Fullers für John Cages Formen einer indeterminierten aleatorischen Musik oder die Bauten des venezianischen Architekten Carlo Scarpa für die Kompositionen von Luigi Nono. Schließlich werden vorgefundene urbane Geräusche in der Musique concrète bei Pierre Schaeffer oder Pierre Henry, in der Minimal Music, z. B. in den Kompositionen von Steve Reich, in den Klanginstallationen, z. B. bei Bill Fontana oder Rolf Julius, oder generell in den City Soundscapes verarbeitet. Der Raum bzw. der konkrete Ort und damit der Bezug zur Architektur und zum Urbanismus avanciert in der Neuen Musik, in der Klangkunst und bei Audioperformances zu einem entscheidenden formbildenden Kriterium. Mit der Frage, was und wie in einer vorgefundenen architektonischen Umgebung auditiv wahrgenommen wird, beschäftigt sich schließlich die Klangarchitektur. Dass das architektonische Erleben immer auch durch auditives Wahrnehmen geprägt ist, zeigen Arbeiten wie Andres Bosshards Riflessione di una Diga (1987), bei dem die akustischen Eigenschaften des Staudamms in Fusio im italienischen Bezirk Vallemaggia zum Vorschein gebracht werden.
[1] Le Corbusier, Kommende Baukunst, (französische Originalausgabe Vers une architecture, Paris 1923), Stuttgart 1926, S. 75.
[2] Der Modulor ist ein in den Jahren 1942 bis 1955 von Le Corbusier entwickeltes Proportions-System, das sich von den menschlichen Körpermaßen sowie dem Goldenen Schnitt herleitet.
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