Farbenklavier

Louis-Bertrand Castel (Urheber)

Werkdetails


Werkbeschreibung von Jörg Jewanski

Der französische Mathematiker Louis-Bertrand Castel (1688–1757) hatte sich ab 1723 mit Farbe-Ton-Analogien beschäftigt, als er die französische Ausgabe (1722) von Isaac Newtons Optics (1704) rezensierte und dabei auf dessen Analogiebildung stieß. Darüber hinaus bezog Castel sich unter anderem auf Licht-Schall-Vergleiche in den Schriften Athanasius Kirchers und auf die Farbe-Ton-Intervall-Tabelle in dessen Musurgia universalis (1650).

Die Zielsetzung seines Clavecin oculaire war eine mehrfache: 1. Ein Tauber könne mit den Augen die Schönheit der Musik genießen, ein Blinder mit den Ohren die der Farben beurteilen und der, der Augen und Ohren habe, könne beides intensiver genießen. 2. Die Maler, die Farbharmonie und -disharmonie bisher nur auf der Basis von Geschmack und Gefühl bestimmt haben, könnten nun auf rationaler Grundlage durch einen Transfer der Musik- auf die Farbtheorie das Geheimnis der Farbkombinationen erlernen. 3. Die Farbe würde eine Beweglichkeit erhalten, die sie auf einer starren Leinwand niemals erreichen könne. 4. Musik ließe sich auf eine Leinwand so fixieren, dass man ein Zimmer mit Musik tapezieren könne, um so in Ruhe mit dem Auge zu betrachten, was während eines Konzertes zu schnell vorübergeht.

Da Sehen und Hören nach identischen Prinzipien strukturiert seien, schloss Castel, dass diese auch für die übrigen Sinne gelten und visierte sogar ein Clavecin pour tous les sens an.

Castels Ideen sind ebenso im Kontext einer generellen Faszination für optische Illusionen und visuelle Spektakel zu sehen, die sich in der damaligen Popularität der Camera obscura, Laterna magica, den Anamorphosen und Feuerwerken widerspiegelt.

Castel verband jede Taste eines Cembalos mit einem Band, um beim Niederdrücken einer Taste ein Fenster in einer dem Cembalo aufgesetzten Kiste zu öffnen. In diesem Fenster wurde somit die dem Ton zugeordnete Farbe sichtbar, wobei Kerzen hinter farbigem Glas als Lichtquellen dienten. Von Zeitgenossen Castels existieren voneinander abweichende Darstellungen des Farbenklaviers, da sie sich offensichtlich auf unterschiedliche Vorformen des Clavecin bezogen. Viele bautechnische Details seines Clavecin bleiben unklar, denn es ist weder eine Abbildung noch eine Konstruktionsskizze überliefert. Zudem fehlen Beschreibungen darüber, wie das Farbenspiel ausgesehen hat. Fest steht nur, dass Castel keine sich verändernden bewegten Formen zeigen konnte.

Fast 30 Jahre lang kämpfte er in Paris mit technischen Problemen seines Clavecin und präsentierte es nach eigenen Angaben am 21. Dezember 1754 vor 50 Personen in einem halbstündigen Konzert mit vier Zugaben und am 1. Januar 1755 vor 200 Personen. Weitere bestätigende Quellen für diese zwei ersten Aufführungen in der Geschichte der Farbenklaviere existieren allerdings nicht. Auch über die gespielte Musik ist nichts bekannt: Vermutlich handelte es sich nur um Melodien oder höchstens zweistimmige Kompositionen, jeweils in langsamem Tempo. Reich verzierte Cembalomusik jener Zeit wie die François Couperins oder Jean-Philippe Rameaus hätte die schwerfällige Mechanik des Clavecin wahrscheinlich überfordert. Vermutlich präsentierte Castel zum einen eine stumme Musik als reines Farbenspiel und zum anderen eine Musikvisualisierung, parallel zur gehörten Musik.

Castels Schriften lösten in Frankreich eine kontroverse Diskussion über die Beziehungen von Farben und Tönen aus, an der sich auch die Geistesgrößen jener Zeit wie Denis Diderot, Jean-Jacques d’Ortous de Mairan, Jean-Jacques Rousseau und Voltaire beteiligten. Qualität und Ausführlichkeit dieser Debatten suchen in der Geschichte des Farbenklaviers ihresgleichen.

siehe auch


Spezifikation
Farbenklavier zur Umsetzung seiner Theorie

Dieses Werk ist Thema in folgenden Texten

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Titelseite des Aufsatzes Clavecin pour les yeux, avec l'art de Peindre les sons, & toutes sortes de Pièces de Musique von Louis-Betrand Castel, in: Mercure de France, November 1725, S. 2552-2577
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